Ein Seepanorama mit Bungalows in hübschem, unschuldigem Weiß. Mitarbeiter, die ihren Gästen jeden Wunsch von den Augen ablesen, und Tage, die aus Hufeisenwerfen, Hula-Hoop-Runden und Golfspielen bestehen. Im amerikanischen Ferienresort Kellerman's ist die Welt noch in Ordnung. Oder zumindest ist das der schöne Schein, der im Rundum-Sorglos-Paket der gut situierten Feriengäste inklusive ist.
Wie Max Kellerman mit seinen Mitarbeitern spricht, das bekommen sie nicht mit – oder es ist ihnen schlichtweg egal. Ebenso wie die Sorgen der Tanztrainer und Entertainer, die beim kleinsten Fehltritt mit Rauswurf und Lohnentzug rechnen müssen. Nur einem Gast ist all das nicht egal: Frances "Baby" Houseman. Und die erzählt diese Geschichte vom Sommer 1963, der für sie alles veränderte.
Bühnenversion eines Kultfilms
Fans wissen schon längt, von welcher Geschichte die Rede ist. Nun wäre der richtige Moment gekommen, dass irgendjemand laut "ich habe eine Wassermelone getragen" ruft – eines von vielen Zitaten aus "Dirty Dancing" (1987), die wie der Film selbst längst Kult geworden sind.
Die frisch renovierte Bühnenvariante der Liebesgeschichte ist aktuell am Bremer Metropol-Theater zu sehen und macht mit kleinen Eingriffen in die Filmhandlung deutlich, dass "Dirty Dancing" viel mehr ist als eine leicht kitschige Tanz-Romanze.
Die Story in Kurzform: Familie Houseman macht 1963 Urlaub bei Kellerman's. Frances "Baby" Houseman (Deike Darrelmann), die jüngere der zwei Töchter, ist fasziniert von den Tänzen, die die Hotelangestellten tanzen, wenn die Gäste längst schlafen. Besonders fasziniert sie der Tanzlehrer Johnny Castle (Máté Gyenei). Baby hilft seiner – rein platonischen – Freundin Penny (Isabelle Vedder) aus der Klemme, als diese schwanger ist und dringend das Geld für eine Abtreibung braucht.
Außerdem springt Baby, die anfangs überhaupt nicht tanzen kann, aber es mühsam lernt, als Johnnys Partnerin bei einer Show ein. Die beiden kommen sich näher, Babys Vater (Martin Sommerlatte) passt das gar nicht. Und zack, sind alle ziemlich wütend aufeinander und hadern mit ihren Entscheidungen, gefangen in dem Zwiespalt zwischen Selbstverwirklichung und den Erwartungen anderer.
Nah dran am Original
Insgesamt bleibt die Bühnenshow sehr nah am Film, bindet aber geschickt zusätzliche Szenen ein, die den Ereignissen noch mehr Tiefe geben und den Kontrast zwischen den zwei gezeigten Welten – den reichen Hotelgästen und den armen Angestellten, aber auch Männern und Frauen und Schwarzen und Weißen – noch schärfer nachzeichnen.
So gibt die Bühnenversion zum Beispiel Babys Mutter Marjorie Houseman (Masha Karell) mehr Szenen, während sie im Film nicht viel mehr ist als eine Statistin. Und auch der schmierige Neil Kellermann (Niklas Schurz), Enkel des Hotelinhabers, ist zwar immer noch schmierig, möchte sich allerdings der Bürgerrechtsbewegung anschließen, was für ihn eine Emanzipation von seinem spießigen Großvater bedeutet. Kleine Streitereien, als Johnny Baby zum Beispiel offenbart, dass er nicht wählt und sich nicht für die Rechte der Schwarzen einsetzt, da sich für ihn auch nie jemand stark mache, holen die Story noch ein Stück weiter ins Heute.
Das sehr rasante Storytelling, mit blitzartig wechselnden Szenen und Schauplätzen, wirkt manchmal wie ein Schnelldurchlauf der Leinwandversion. Aber er funktioniert. Auch aufgrund des zwar relativ minimalistischen, aber effektiven Bühnenbildes (Federico Bellone). Sogar Filmszenen, die sich nur schwer auf der Bühne realisieren lassen, wie die Szene, in der Johnny und Baby im Wasser die Hebefigur üben, werden mit geschickt eingesetzten Licht- und Soundeffekten sowie ein wenig Fantasie des Publikums gekonnt umgesetzt.
Hauptdarstellerin Deike Darrelmann – die übrigens gebürtig aus Oldenburg kommt – brilliert in der weiblichen Hauptrolle und gibt eine Version von Baby zum Besten, bei der sogar Jennifer Grey vor Neid erblassen würde. Authentisch und liebenswert zeigt sie Babys Entwicklung vom hölzernen Tanz-Laien zum Halbprofi, von Daddys kleinem Mädchen zur selbstbewussten jungen Frau, die für das einsteht, woran sie glaubt.
Máté Gyenei erinnert in seiner Version von Johnny Castle eher an einen jungen John Travolta als an Patrick Swayze und kann vor allem eines: tanzen. Und auch der Rest des Casts überzeugt mit beeindruckenden Tanzeinlagen, tollem Gesang (insbesondere Lead-Sängerin Bente Mulan Nanayakkara und Benedikt Ivo, der Johnnys Cousin Billy spielt) und gutem Spiel.
Die wunderschönen, knallbunten Kleider (Kostüm-Design: Jennifer Irwin) der Frauen auf der Bühne und die Musik aus dem Film, mit allen Hits von "Hungry Eyes" über "She's Like The Wind" bis zu "(I've Had) The Time Of My Life", sind die letzten zwei Puzzleteile, die diese rundum gelungene Bühnenshow perfekt machen. Präsentiert werden die Songs mal gesanglich, oft aber auch nur ganz subtil im Hintergrund. "Dirty Dancing – Das Original live on Tour" ist also kein reines Musical, sondern eine gut ausgewogene Mischung aus Theater, Musical und Tanzshow.
Beim Satz "Mein Baby gehört zu mir" waren die Zuschauer am Donnerstag im Metropol-Theater dann nicht mehr zu halten. Ein lautes Raunen ging durch den Saal. Und nachdem die legendäre Hebefigur mir allem drum und dran ausreichend zelebriert wurde, hielt es das Publikum auch nicht mehr auf seinen Sitzen. Langer Applaus für die gelungene Neuauflage eines Klassikers.