Wer ist Antonia Bontscheva, oder besser: Wer ist sie nicht? Sie ist nicht recht bulgarisch. Sie ist aber auch nicht ganz deutsch. Sie hat nicht die eine kulturelle Heimat, stattdessen eine Leerstelle, die immer größer wird, je älter sie wird. Das sagt sie so. Bontscheva verließ das sozialistische Bulgarien, als die Zeiten noch gut waren. Erst danach kam die Armut, die zwar irgendwann vorüberging, dafür aber eine geschundene Generation hinterließ.
Es ist ihre Generation, die bis heute darüber spricht, doch Bontscheva kann nicht mitreden. Als sie nach Deutschland kam, hatte sie Goethe und Schiller gelesen, dafür aber Rudi Dutschke und die ersten Jahre Helmut Kohls verpasst. Grund genug, sich weder als Teil des einen noch des anderen zu verstehen. "Wer von der gemeinsamen Erinnerung abgeschnitten ist, fühlt sich ausgeschlossen", sagt sie.
Nun hat sie einen Roman geschrieben, "Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere". Zuletzt las sie daraus auf der Frankfurter Buchmesse und beim Globale Literaturfestival. Er ist ihr Schritt vom Texten hin zur Literatur. Früher schrieb sie humorige Kolumnen für Radio Bremen, ihr Buch aber hat mehr Herz, mehr Tiefgang und auch mehr Drama.
"Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere" ist zumindest ein Stück weit autobiografisch. Wer den Roman liest, liest nicht ausschließlich die Geschichte Antonia Bontschevas, sondern eine, deren Figuren ihre Züge tragen, die ähnliche Konflikte, Prägungen und Leerstellen offenbaren, wie auch sie sie hat. Er handelt von einer Frau, die Bulgarien verlässt, nach Deutschland zieht, in Bremen landet – ohne dabei aber ihre Familie gänzlich hinter sich lassen zu können. Das klingt ein wenig bedrückend, liest sich aber nicht so. Man merkt: Antonia Bontscheva schreibt aus dem Bauch heraus. Ihre Geschichte ist zwar auch melancholisch, genauso aber rau und humorig.
"Ich schreibe ohne zu denken, sehr intuitiv", sagt sie. Das Denken, dass passiert erst hinterher, wenn ihr Text die Form annimmt, die er braucht, damit auch andere Menschen verstehen können, was sie sagen möchte. Und vor allem, was ihre Figuren fühlen. Kurze Sätze, direkte Sprache, stellenweise fast schon norddeutsche Trockenheit. Manchmal grob, manchmal sanft, auch mal poetisch – es wird viel geflucht, gelacht und geweint.
Bremens liberaler Geist
Ähnlich ist es, wenn Bontscheva über Bulgarien spricht. Die Gastfreundschaft empfindet sie als übergriffig, Gespräche als zu unverbindlich, den Umgang mit den dort lebenden Roma als herablassend, freundlich ausgedrückt. Ist sie heute in dem Land ihrer Geburt, widerspricht sie, wenn ihr etwas nicht passt. Sie kritisiert und verlässt auch mal den Raum, wenn es zu viel wird. Nur helfen tut das nicht. Spricht sie in darüber, dass man Roma nicht als Zigeuner beschimpfen sollte, hört sie als Antwort oft nur: "Aber wir haben sie nicht vergast." Wenn sie das erzählt, klingt es zugleich, als würde sie ein bisschen daran verzweifeln, dass das Land, mit dem sie sich so eng verbunden fühlt, sich so schwer damit tut, ihr das zu vermitteln, was sie im Besonderen an Bremen so schätzt. "Ich habe mich hier aufgenommen gefühlt, ohne dass ich eine explizite Herzlichkeit erfahren hätte. Ein gutes Gefühl, ohne genau zu wissen, warum. Mit der Zeit habe ich gespürt: Das macht der liberale Geist."
Doch egal, wie sehr man versucht, seine Wurzeln hinter sich zu lassen – wenig prägt mehr als die ersten zwanzig Lebensjahre. Angekommen in Deutschland blieb ihr daher scheinbar zunächst nur die Wahl zwischen zwei Extremen: dem Rückzug in das, was sie kulturelle Enklave nennt, in der man vor allem Kontakte zu Landsleuten hat. Oder die radikale Abkehr vom eigenen Kulturkreis. "Ich habe Letzteres getan", erzählt sie. Als ihr damals ein Arbeitskollege gestand, dass er sie für wenig intelligent gehalten habe, weil sie so viel Wert auf ihr Äußeres legen würde, machte sie einen Schnitt. "Das fand ich so erschütternd, dass ich anfing, nur noch Hosen zu tragen und mich der damaligen deutschen Kultur völlig anzupassen." Als könne man seine Herkunft ablegen wie Kleider und Röcke.
Ist ihr Buch also ein Versuch, die zwei Welten, die ihr Leben bestimmen, zu verbinden? Nein, sagt Antonia Bontscheva, zumindest war das nicht der Plan, als sie begann zu schreiben. Passiert ist es trotzdem irgendwie. Woher all der Traditionalismus der bulgarischen Gesellschaft rührt, ahnt sie mittlerweile, und dass Aggression und Liebe dabei manchmal Hand in Hand gehen. Und auch, wie sehr der gewaltsame Tod der Familie ihres Vaters nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Männer ihrer Familie geprägt hat. "Manches habe ich nun verstanden, manchem habe ich mich angenähert, und mit dem, was ich noch immer nicht verstehe, kann ich heute besser leben", sagt sie. Bald soll ein zweites Buch folgen, 240 Seiten gibt es schon. Zumindest literarisch ist der Prozess der Ablösung von Familie und Heimat noch nicht beendet.