Für die Toten Hosen ist Bremen mehr als nur eine Station auf ihrer „Laune der Natour“-Tournee: Das Konzert am Samstag auf der Bürgerweide ist bereits ihr 18. in der Stadt, in der sie ihren ersten offiziellen Auftritt hatten. „Dort drüben“, ruft Campino ins Mikrofon und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf den nahegelegenen Schlachthof, „hat 1982 unsere Karriere angefangen“. Auch wenn die Punkrocker aus Düsseldorf danach „Auswärtsspiel“ anstimmen, zeigen sie und das Publikum in den folgenden zweieinhalb Stunden: In Bremen ähneln Auftritte der Toten Hosen einem Heimspiel.
Das Konzert, das eigentlich Mitte Juni stattfinden sollte und wegen Campinos Hörsturz verlegt wurde, besuchen rund 27.000 Fans – zahlende, wohlgemerkt. Denn auf dem Platz vor dem Veranstaltungsgelände und auf der Theodor-Heuss-Allee tummeln sich viele weitere Anhänger, die das Treiben auf der Bühne kaum erkennen, es dafür aber auf den Leinwänden verfolgen können.
Bis ihr Auftaktsong „Strom“ aus den Boxen dröhnt, heizen drei Vorbands dem Publikum ein, unter anderem die Indierocker von The Subways. Die kündigt Hosen-Bassist Andreas „Andi“ Meurer als „geballte Ladung Rock 'n' Roll“ an – und er hält Wort: Das englische Trio überzeugt mit Hits wie „Oh Yeah“ oder dem teilweise auf Deutsch vorgetragenen „We Don't Need Money To Have A Good Time“. Vor allem bei „Rock 'n' Roll Queen“, ihrem wohl bekanntesten Song, zeigen sich viele Besucher textsicher und bis in die hintersten Reihen springfreudig. Bassistin Charlotte Cooper weiß deren Einsatz zu würdigen: „Ihr seid echt so geil“, ruft sie – auf Deutsch, versteht sich.
Kurz darauf fegt Campino in weißem Hemd und schwarzer Jeans auf die Bühne. Die ersten schrillen Töne und langen Sprints machen deutlich: Der 56-Jährige ist nach seinem Hörsturz wieder ganz der Alte und genau so „topfit“, wie er im Interview mit dem WESER-KURIER versprach. So exemplarisch wie ironisch wirkt seine Performance zu „Steh auf, wenn du am Boden bist“, die er während der ersten Strophe liegend verbringt, bevor er zum Refrain in die Höhe schnellt. Für die Verlegung des Konzerts entschuldigt er sich und verspricht: „Dafür geben wir uns doppelt Mühe.“
Viele ihrer Songs werden von Videos auf der zentralen Bühnenleinwand untermalt. Bei „Bonnie und Clyde“ erzählen etwa animierte Figuren die Geschichte des Gangsterduos nach, während „Wie viele Jahre“ Schnappschüsse aus den Anfangsjahren der Band begleiten. Die Frisuren sind schrill, die Outfits bunt. Das sorgt für Lacher. Sowohl bei denen, die sich noch an die Zeit erinnern als auch bei denen, die damals noch nicht geboren waren. Sowieso ist das Publikum vom Alter her bunt durchmischt. Textsicher sind sie aber alle. So auch die vielen Kinder, die zu so später Stunde im Bett liegen müssten, nun aber überwiegend auf den Schultern ihrer Begleiter sitzen.
Immer wieder binden die Toten Hosen ihre Fans in die Show mit ein: Das von Gitarrist Andreas „Kuddel“ von Holst gesungene Trinklied „Eisgekühlter Bommerlunder“ lädt zum Mitgrölen ein, bis es in einem schrillen Lautgewirr endet. Zum balladigen „Alles passiert“ fordert Campino, jeder möge „diese Taschenlampe herausholen“, die er sonst zum Telefonieren benutze. Noch emotionaler wird es bei „Draußen vor der Tür“, das Campino für seinen verstorbenen Vater schrieb und den klassischen Gänsehautmoment erzeugt.
Dann geht es wieder rockig zu, etwa beim Iggy-Pop-Cover „The Passenger“ oder den ACDC-Stadionklassikern „Highway to Hell“ und „TNT“. Besonders laut wird es bei der Fußballhymne „Bayern“. Mit der hätten die Toten Hosen laut Campino früher, als Werder Bremen noch auf Augenhöhe mit den Münchener Kickern war, das komplette Set füllen können. Zum visuellen Feuerwerk kommt es bei „Pushed Again“, als kontrolliert gezündete Pyrotechnik die Bürgerweide in roten Rauch einhüllt. Beim Überhit „An Tagen wie diesen“ schwirrt hingegen mehrere Minuten rot-weißes Konfetti durch die Luft. "Andi" geht zusammen mit seinem Bass per Sprung auf Tuchfühlung mit den Fans, die gerade in den ersten Reihen viele Fahnen mit Totenkopf-Aufdruck und Fortuna-Düsseldorf-Emblem schwenken.
Zwischendurch klingen auch politische Töne an. So bekundet Campino stellvertretend für die Band Solidarität zu den Seenothelfern, die im Mittelmeer Leben retten: „Hört auf damit, Lebensretter zu kriminalisieren!“, appelliert er. In den folgenden Applaus erklingen, wie passend, die ersten Töne des Anti-Abschottungs-Liedes „Europa“. Hierbei werden sie von den Streichern des Michael-Gorbatschow-Gedächtnis-Quartetts unterstützt, die später auch schnellere Töne anschlagen – was an die irische Bühnenshow „Riverdance“ erinnert und einige im Publikum zum Stepptanz animiert. Den gegen Rechtsextremismus gerichteten Klassiker „Sascha ... ein aufrechter Deutscher“ widmet die Band der AfD und der CSU.
Die Rausschmeißerhymne bildet das obligatorische „You'll Never Walk Alone“, für das sich Campino seines Oberteils – inzwischen ein Trikot von Fortuna Düsseldorf – entledigt. Am Ende verspricht er, dass man sich schon sehr bald wiedersehen werde. Schließlich ist seine Fortuna Anfang Dezember im Weserstadion zu Gast.