"So weit im Süden waren die Norddeutschen Realisten noch nie." Kuratorin Anne Schweisfurth vom Hafenmuseum freut sich noch jetzt über die neun Maler, die Bremen erkundet und jede Menge interessanter Motive für sich entdeckt haben. Die mobile Künstlerkolonie, die aktuell 16 Mitglieder zählt, trifft sich seit der Gründung 1989 regelmäßig in wechselnden Besetzungen zu einwöchigen Freiluftsymposien an der Nord- und Ostsee sowie in Schleswig-Holstein – 50 solcher Zusammenkünfte gab es bereits. Die jüngsten fanden im Juni und September 2022 in Bremen-Vegesack und Bremen-Mitte statt. Nur ein Künstler kannte die Stadt, der hier lebende Till Warwas, die übrigen reisten aus Berlin, Hamburg und Drachten in den Niederlanden an.
"Es sind Profis, die auch mal zwei Bilder am Tag und bei Sturm notfalls am Hotelfenster malen", betont Schweisfurth. "Sie haben hier so ziemlich jedes Wetter und jede Beleuchtung erlebt." In Bremen entstanden 143 Gemälde, die jetzt bis 16. Juli unter dem Titel "Auf Sicht" im Hafenmuseum, im Overbeck-Museum und im Vegesacker Geschichtenhaus ausgestellt werden. Das Hafenmuseum zeigt mit 73 Arbeiten den Löwenanteil. Anders als der nach Künstlern sortierte Katalog sind hier Motivgruppen an den Wänden versammelt – vom Industriehafen und den Handelshäfen führt die Route ins Zentrum mit Marktplatz und Schlachte, um zuletzt in Hastedt mit Panoramablicken vom swb-Kohlekraftwerk zu enden.
Diese Hängung hat zwei Vorteile. Der einheimische Besucher kann sich rasch orientieren, und jeder kann gut vergleichen, wie unterschiedlich sich dieselben Motive mit dem Pinsel interpretieren lassen. Schnell wird man auch einzelne Handschriften erkennen. Wo etwa Tobias Duwe mit genau komponierten Tiefenperspektiven den Blick Rollenstahl und Kohlenhalde am Stahlwerk lenkt, erscheinen die Ansichten von Meike Lipp als expressionistische Farbexplosionen. André Krigars Ampeln in der Dämmerung flimmern impressionistisch. Fangen Till Warwas und Mathias Meinel Ufer- und Parklandschaften in fast schon altmeisterlicher Gediegenheit ein (und Warwas einen Molenturm mit filmischem Weichzeichner), so tritt bei Frank Suplie, der auch im Freien mit Eitempera malt, leicht verwischt ein Moment der Einsamkeit hinzu, das an Edward Hopper erinnert.
Regelrecht düster wird es bei Margreet Boonstra: Ihre Hafenkräne wirken wie einer Kohlezeichnung entsprungen. Urbane Trostlosigkeit strahlt Bremen bei der Berlinerin Corinna Weiner aus, Rathausarkaden und -fenster bilden in Schwarz und Grau scharfe Kontraste zu den Motiven der Kollegen. Über die Schlachte fegt der Sturm. Gerade das norddeutsche Schietwetter inspiriert einige Künstler zu spannenden Bildern: Bei Lars Möller scheint der Regen die Farbe in Schlieren aus dem Bild zu schwemmen. So geht norddeutscher Realismus.