Das Beste kam zum Schluss: Die Bremer Philharmoniker und Dirigent Hossein Pishkar füllten die Glocke voll und ganz mit "Petruschka". Dabei kreierten sie eine Atmosphäre, die von permanenten Kippmomenten geprägt war – ganz so, wie Igor Strawinsky (1882-1971), der die collagenhafte Ballettmusik rund um drei zum Leben erweckte Puppen 1911 komponierte, sich das wohl gedacht haben wird. "Petruschka" erwies sich dabei als ebenso soghaft wie der zwei Jahre später komponierte "Le Sacre du Printemps"; Strawinskys großes Skandalballett.
Der junge iranische Dirigent Hossein Pishkar mutete dem Orchester einen Kraftakt zu, um die tragische Geschichte vom außer Rand und Band geratenen, unglücklichen Hampelmann Petruschka, von der Ballerina und von seinem Widersacher, dem Mohren, zu erzählen. Er setzte von Beginn an auf äußerst präzise Phrasierungen in allen Instrumentengruppen und eine beinahe schneidende Rhythmik, was die Brüche zwischen den einzelnen Szenen, den Figuren und den vielen sich überlagernden und einander ablösenden musikalischen Motiven umso stärker verdeutlichte.
Kaum hatte sich das Ohr also an die verstolperte Tanzmelodie des Jahrmarktstreibens gewöhnt, ließ Pishkar knappe disharmonische Phrasen die Lyrik beiseite räumen. Die poetische Querflötenmelodie (wunderbar: Hélène Freyburger) fand sich vom Lauern der Holzbläser und Streicher bedroht; das forsche Trompetenmotiv der Ballerina (stark: Roman Lemmel) wurde konterkariert vom durch einen dumpfen ostinaten Rhythmus charakterisierten Mohren. Das war großes, beinahe hypnotisches Klang-Kino, und das Publikum belohnte Orchester und Dirigenten mit lang anhaltendem Applaus.
Vortritt für den Jazz
Vor der Pause hatten die Philharmoniker in ihrem "Inspiration" überschriebenen Konzert den Cellisten Eckart Runge zu Gast, mit dem sie das dreisätzige "Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1" des russischen Komponisten Nikolai Kapustin (1937-2020) interpretierten. Ein Werk, in dem es, ähnlich wie bei Strawinsky, darum ging, die Konventionen einer klassisch angelegten Komposition durch neue Elemente aufzubrechen. Kapustin lässt dabei dem Jazz den Vortritt, und auch dem Solisten, was bei Eckart Runge immer ein Glücksfall ist. Runge kannte Kapustin zudem, der Komponist hat dem Cellisten sogar die handschriftliche Partitur für das Cellokonzert anvertraut.
Von daher erlebte das Publikum einen leidenschaftlich das Werk sich zu eigen machenden Musiker, der dem Orchester von Anfang an knackig Phrasen vorgab, aber auch reagierte. Die Philharmoniker antworteten auf die lustvollen und virtuosen Improvisationen Runges ihrerseits mit musikalischen Fragestellungen, die vor allem von Bigband- und Cool-Jazz geprägt waren. Dabei kam die Ausführung inspirierender daher als das Werk selbst, das ab an wirkt, als habe Kapustin viele Zutaten in einen musikalischen Thermomix geworfen und geschaut, was dabei herauskam.
Begonnen hatte das sechste Philharmonische Konzert mit Joseph Haydns "Symphonie Nr. 70 D-Dur", bei der Orchester und Dirigent nur phasenweise überzeugen konnten, vor allem im variantenreichen ersten Satz. Über weite Strecken klang die Symphonie zu verhalten, manchmal gar schwerfällig angelegt. Auch die Abstimmung in den Streichern ließ manchmal zu wünschen übrig.