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Premiere "Wölfinnen" am Theater Bremen Das Ende des Schweigens

Die Schwestern Inga und Susanne haben sich seit 30 Jahre nicht gesehen. In "Wölfinnen" von Hans König gelingt ihnen eine vorsichtige Wiederannäherung – trotz eines schrecklichen Familiengeheimnisses.
09.01.2022, 14:19 Uhr
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Das Ende des Schweigens
Von Iris Hetscher

Der Raum ist karg möbliert: ein Bett, ein Tisch mit geblümter Decke und einem blauen und einem grünen Stuhl davor, ein weiterer gepolsterter Stuhl im Vordergrund, außerdem eine blaue Holzbank. Das reicht, um Irene Kleinschmidt aus dem Ensemble des Theaters Bremen und Franziska Mencz, die man aus Produktionen der Shakespeare Company, des Kriminaltheaters oder der Schwankhalle kennt, eine Bühne zu bereiten, auf der sie sich 75 Minuten lang einen intensiven Schlagabtausch liefern. Als zwei Schwestern, die einander anfangs sehr fremd sind und die sich langsam wieder einander annähern.

Inga Gries (Franziska Mencz) besucht ihre Schwester Susanne (Irene Kleinschmidt) in ihrem Haus in Quedlinburg. 1990, mit 18 Jahren, hatte Inga ihre Geburtsstadt in Sachsen-Anhalt in Richtung Westen verlassen, sie ist inzwischen promovierte Kunsthistorikerin und hatte den Kontakt zur Familie abgebrochen. Susanne ist geblieben, hat Pflegerin gelernt, geheiratet, zwei Kinder bekommen, sich scheiden lassen. Nun kümmert sie sich um die bettlägerige Mutter Waltraut, die im Sterben liegt. Das ist der Anlass, aus dem Inga angereist ist.

Es ist die Ausgangsbasis des Kammerspiels "Wölfinnen", das der Bremer Theatermann Hans König (Theatre du Pain, Butzbacher und Brommelmeier) erdacht und am Kleinen Haus auch selbst inszeniert hat. Am Sonnabend war Premiere. Susanne und Inga sind nicht die einzigen Frauen, die im Mittelpunkt des Stücks stehen; ihre seelischen Verwundungen und ihre Verhaltensmuster sind geprägt von den Erfahrungen ihrer Mutter und ihrer Großmutter, auch wenn sie davon wenig wissen. In diese Rollen schlüpfen die beiden Schauspielerinnen in regelmäßig eingestreuten Rückblenden.

Nachkriegs-Frauenschicksale

Waltrauts Mutter wurde kurz nach dem Krieg von einem russischen Soldaten vergewaltigt – die Tochter kam neun Monate später auf die Welt. Akzeptiert wurde sie von dem deutschen Ehemann der Mutter, der als Soldat die Sowjetunion mit überfallen hatte und Jahre später aus der Gefangenschaft zurückkam, nie. Die Mutter hat die Vergewaltigung stets "beschwiegen", wie es im Stück heißt, Waltraut hat sich in eine lieblose Ehe geflüchtet. Zwei Nachkriegs-Frauenschicksale, über die erst seit einigen Jahren verstärkt öffentlich gesprochen wird; eigentlich erst, seit das auf Tagebuchaufzeichnungen beruhende Buch "Anonyma - eine Frau in Berlin" von Marta Hillers 2003 von Hans Magnus Enzensberger wieder aufgelegt, zu einem Bestseller und 2008 mit Nina Hoss verfilmt wurde. Als das 1954 auf Englisch publizierte Werk 1959 zum ersten Mal auf Deutsch erschien, war in Rezensionen vor allem die Rede davon, es werde die Ehre der deutschen Frau beschmutzt.

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Hans König untersucht in seinem Stück die psychologischen Auswirkungen dieses archaischen patriarchalischen Begriffs von Ehre, der überall auf der Welt bedeutet, dass Frauen eingeengt, klein und sprachlos gehalten werden. Sie haben nicht wütend zu sein nach einer Vergewaltigung oder einem sexuellen Übergriff, sie haben sich zu schämen für das an ihnen begangene Verbrechen. "Das sind Kerls, Inga, die sind so", sagt Susanne an einer Stelle, als die beiden schon so weit sind, sich entsprechende eigene Erfahrungen anzuvertrauen.

Eiseskälte der Zurückweisung

Das dauert eine Weile. Zu Beginn spielt Irene Kleinschmidt Susanne, die so lange mit der Mutter allein unter einem Dach lebt, als verbitterte, verhärmte Frau. Der Psychoterror, die Eiseskälte der Zurückweisung Waltrauts durch den Soldaten-Vater hat sich wie Mehltau über die Familie gelegt: Susanne hat eine Art rabiate Opferrolle kultiviert, mit klaren Feindbildern (Westdeutsche, Ausländer). 

Franziska Mencz' ist dagegen zunächst einmal die sympathischer gezeichnete Figur. Doch ihre Fassade aus Jovialität und Weltläufigkeit hat sie sich durch einen großen Verdrängungsprozess erkauft – auch sie hat mehr als 30 Jahre geschwiegen, sich einfach nicht mehr mit ihrer Familie auseinandergesetzt. Und sie ist im Westen allein geblieben. Erst, als die Schwestern ehrlich miteinander sind, wieder jemanden an sich heranlassen, wächst eine neue Verbundenheit zwischen ihnen, den von den Männern "gezähmten Wölfinnen". Das ist sehr dicht gespielt und inszeniert, nur auf plakative Nebengeschichten wie die um den rechtsradikalen Neffen hätte man locker verzichten können. Ein nachdenklich stimmender Abend. 

Info

Die nächsten Termine: 28. Januar, 20 Uhr; 23. Februar, 20 Uhr.

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