Schon zu Beginn des Rundgangs durch die Ausstellung der diesjährigen Meisterschüler und Meisterschülerinnen der Hochschule für Künste (HfK) macht Weserburg-Direktorin Janneke de Vries klar, dass dieses Mal einiges anders ist: "Die Ausstellung ist ein bisschen wie eine Schnitzeljagd", sagt sie. Heißt: Während die Studierenden ihre Arbeiten sonst gebündelt, meist auf einer oder zwei Etagen präsentieren, muss man nun ein bisschen durch das Museum wandern, um sie alle zu finden.
Und nicht nur dort: Eine Arbeit schwimmt in der Weser, neun andere Arbeiten haben in der benachbarten Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) einen Platz gefunden. Für de Vries ist das die Einleitung einer neuen Organisation der Meisterschüler-Ausstellung: Diese soll in Zukunft wieder im Sommer stattfinden und zwar nicht nur in der Weserburg, sondern abwechselnd in verschiedenen Bremer Ausstellungshäusern - kommendes Jahr zum Beispiel im Gerhard-Marcks-Haus.
Doch zurück zur aktuellen Schau: 20 Künstler und Künstlerinnen sind an der diesjährigen Ausstellung mit dem Titel "Last notes before entering the building" (Letzte Hinweise, bevor Sie das Gebäude betreten) beteiligt. Kuratiert wurde sie wie schon im vergangenen Jahr von Alejandro Perdomo Daniels. Ziel der Ausstellung ist es, einen Einblick in die Vielfalt der aktuellen Kunstproduktion in Bremen zu geben. Malerei ist in der Präsentation ebenso vertreten wie Plastiken, ortsbezogene Interventionen, Klangarbeiten, Videoinstallationen und wilde Mischungen aus mehreren Praktiken.
Wer darf eigentlich mitmachen?
Künstler und Künstlerinnen mit bestandenem Diplom im Studiengang Freie Kunst, die durch herausragende Leistungen aufgefallen sind, bekommen an der Hfk als Meisterschüler die Gelegenheit, ihre eigene künstlerische Identität in zwei weiteren Semestern zu festigen und gleichzeitig auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleitet zu werden. Betreut werden sie jeweils durch einen Professor oder eine Professorin. Jeweils einer der Meisterschüler erhält im Rahmen der jährlichen Ausstellung den mit 15.000 Euro dotierten Karin-Hollweg-Preis. Die Hälfte des Geldes ist dafür reserviert, dass der Preisträger eine Einzelausstellung in Bremen umsetzen kann.
Die Preisträgerin...
...des diesjährigen Karin-Hollweg-Preises wurde am Freitagabend bekanntgegeben: Sie heißt Shirin Mohammad. Ausgezeichnet wurde sie für ihre Installation "In der Mitte einer Furt", die in einem bedrückenden Diorama die Bauernproteste aufgreift, die im Frühjahr 2021 im Iran stattfanden. Dort haben die Protestler Milch vor die Ministerien gekippt und auch eine Kuh geschlachtet, als Reaktion auf Wasserknappheit, Stromausfälle und Preisverfall. Mohammad schafft im Projektraum der GAK ein "Setting des Unbehagens", heißt es in der Begründung der Jury, das "den von Bremen weit entfernten Ort, die soziopolitische Relevanz einer globalen Umweltkrise und Fragen nach Verantwortung miteinander verwebt." Sie hält dem Betrachter, der die Kunst durch eine von vermeintlichen Einschusslöchern beschädigte Scheibe betrachtet, den Spiegel vor.

Die 1992 in Teheran geborene Meisterschülerin Shirin Mohammad ist die Preisträgerin des Karin-Hollweg-Preises 2021.
Den Preis auch verdient hätte..
... die Arbeit "Cash" (mit einem durch ein Eurozeichen ersetzdem C) von Ludger N.o.kel. An mehreren Stellen in der Weserburg und in der GAK finden Besucher mysteriöse Hinweisschilder, auf denen in roter Schrift - und wieder mit Eurozeichen statt des Buchstabens C - "Call for Cash" (also quasi: Ruf an, wenn du Geld willst) geschrieben steht. Darunter: eine Handynummer. Der Anrufer selbst wird vielleicht enttäuscht sein, wenn ihn am anderen Ende der Leitung nur ein Tuten erwartet. Er sollte aber vielleicht einen Blick ans untere Ende des Treppenhauses der Weserburg werfen. Dort steht eine alte Registrierkasse, die über ein Kabel mit einem Hammer verbunden ist - fast so, als schreie sie danach, wie ein volles Sparschwein zerschlagen zu werden. Neonfarbene Aufkleber mit der Aufschrift "Hit me" (Schlag mich), die aus der Kasse kommen, verstärken diese Assoziation. N.o.kel spielt in seinem Schaffen mit der Beziehung zwischen Kunstrezeption und -produktion. Denn diese Arbeit – das merkt der Besucher, wenn er es im Keller noch einmal mit der mysteriösen Nummer versucht – ist durchaus eine, an der der Betrachter aktiv beteiligt ist.
Unbedingt erwähnt werden muss noch...
...die Kunst von Paul Ole Janns. In der Meisterschülerausstellung sind sowohl zwei Gemälde als auch diverse Hunde-Plastiken zu finden, die wie ein wildes Rudel einen Teil des Ausstellungsraumes erobern wollen. Und nicht nur den: einer der Hunde - ein Dackel - hat es sogar in die zwei Gemälde geschafft. Auf das eine mit seiner Vorderseite, auf das andere mit seinem Hinterteil. Auch im Ausstellungsraum selbst lugt der Dackel zwischen mehr als zehn Artgenossen aus einer Ecke hervor. Hunde wie Gemälde stellen keinen Realitätsanspruch, zeichnen sich vielmehr durch bewusste Verformungen und Verzerrungen aus und nehmen mit viel Ironie Bezug auf die Gesellschaft und den Alltag.