Ihr neues Album "Iconic", mit dem sie am 7. Juli auf der Seebühne Bremen gastieren, ist eine Hommage an legendäre Geiger und enthält beliebte Kompositionen von Bach und Vivaldi über Schubert und Debussy bis Kreisler und Schostakowitsch. Sind solche Klassiker für Sie noch eine echte Herausforderung?
David Garrett: Natürlich habe ich meinen eigenen Anspruch. Ich war bei diesem Album auch der Arrangeur der Orchestrierungen. Schon allein deswegen konnte ich jedem Stück meine eigene Note verpassen. Und die Interpretation auf der Geige ist auch nicht zu vernachlässigen.
Voller Einsatz also auch bei kleinen Stücken?
Als Kind lernst du sehr schnell, dass von dir Disziplin erwartet wird. Die nimmst du in dein Erwachsenenleben mit. Das heißt, dass du manchmal auch über deine Schmerzgrenze gehst. Sowohl als Kind als auch als Erwachsener.
Vier Jahre lang war Itzhak Perlman ihr Lehrer, der als Kind an Polio erkrankt und seitdem auf Gehhilfen angewiesen ist. Trotzdem wirkt er durch und durch positiv. Wie hat Sie seine Persönlichkeit inspiriert?
Dieses Positive hat mich sicherlich zu ihm hingezogen. Mit 18, 19 Jahren versuchte ich, mich selbst zu finden, auch musikalisch. Wenn du schon sehr früh mitgeteilt bekommst, dass es deine Aufgabe ist, etwas Bestimmtes zu tun, sträubt sich irgendwann etwas dagegen. Wenn man dann einen Neustart braucht, ist es großartig, jemanden wie Itzhak Perlman zu haben. Er hat mich sehr motiviert und mir die Freude am Geigenspielen ein Stück weit zurückgegeben.
Auf "Iconic" spielen Sie wieder mit Perlman. Mit welchen Gefühlen war diese Wiederbegegnung verbunden?
Ich habe mich sehr über seine schnelle Zusage gefreut. Er war meine erste Wahl für das Schostakowitsch-Duo. Es fiel in die Zeit, als es noch nicht möglich war, zusammen ins Studio zu gehen, weshalb ich ihm das Stück zugeschickt habe. Später habe ich meine Geigenstimme auf seine angepasst. Große Ehre! Itzhak Perlman kommt immer zu meinen Konzerten in New York. Er ist nicht nur ein strikter klassischer Geiger, sondern er hat viele andere tolle Projekte umgesetzt wie die Filmmusik zu „Schindlers Liste“.
Hat Perlman seinen Part auf der Soil-Violine von Stradivari gespielt?
Genau. Das ist das Instrument, das er seit Jahren liebt. Vor ihm gehörte es Yehudi Menuhin. Ich kenne es noch gut von meinen Unterrichtsstunden in New York.
Sie haben sich voriges Jahr eine original Guarneri-Geige gekauft – für 3,5 Millionen Euro. Ist die bereits auf dem Album zu hören?
Auf dem Album spiele ich noch die Prince Doria Guarneri. Sie war eine freundliche Leihgabe von Gregg Alf durch die Fondazione Museo del Violino in Cremona für ein Jahr. Als ich die Pugnani von Guarneri del Gesú von 1737 auf einer Auktion in Paris erstehen konnte, habe ich die Prince Doria zurückgegeben.
Kann man solch ein wertvolles Instrument ohne Weiteres mit auf Welttournee nehmen?
An bestimmte Orte würde ich dieses Instrument aus klimatischen Gründen nicht mitnehmen, etwa bei einem Outdoor-Konzert in Rio de Janeiro, wo 90 Prozent Luftfeuchtigkeit herrschen. Es hat einige Risse und wurde geleimt, da wäre Feuchtigkeit tödlich. Aber nach Australien zum Beispiel nehme ich die neue Guarneri auf jeden Fall mit. Vom Sound her ist sie meine Seelenverwandte.
Was zeichnet den Ton dieser Geige aus?
Das Menschliche. Stradivari ist übermenschlich und Guarneri ist menschlich. Bei einer Stradivari setzt du den Sound der Stradivari um, eine Guarneri hingegen gibt dir die Möglichkeit, deine eigenen Klangvorstellungen zu realisieren. Sie ist jetzt mein Hauptinstrument. Nur wenn wir 2024 wieder in den großen Hallen mit Crossover-Musik unterwegs sind und rechts und links von mir Pyros hochgehen, werde ich die Guarneri nicht spielen.
Vom Dirigenten Zubin Mehta haben Sie auf der Juilliard School eine Grundregel des Musikgeschäfts gelernt: Kranksein ist „verboten“. Wie oft sind Sie in Ihrem Leben mit Fieber oder mit Schmerzen aufgetreten?
Verboten ist es nicht, aber man geht trotzdem auf die Bühne. Ich bin schon sehr häufig mit Schmerzen und Fieber aufgetreten. Nur weil du krank bist, heißt nicht, dass du nicht 100 Prozent geben kannst. Aber das ist im Musikgeschäft völlig normal. Es ist auch ein bisschen generationsbedingt. Wenn ich Fieber habe, nehme ich zwei Aspirin. Eine Vitamininfusion – und los geht’s!
Ist die jüngere Musikergeneration weniger hart?
Ich habe mit sieben, acht Jahren um Mitternacht noch auf der Bühne gestanden bei meinen russischen Lehrern. Das ist heutzutage gar nicht mehr denkbar. Aber ich weiß nicht, ob ich nicht auch deswegen ein fantastischer Geiger geworden bin. Weil ich gewusst habe, eine Klatsche will ich jetzt nicht haben. Also gib dir Mühe!
Gibt es vollkommene Konzerte?
Keine vollkommenen Konzerte, aber den vollkommenen Moment.
Wie oft erlebt man den?
Nicht so häufig, wie es mir lieb wäre. Aber dann wäre er auch nichts Besonderes mehr. Es gibt Momente, in denen der Kopf und der Körper wirklich im Einklang sind. Wo du auf die Bühne gehst und von der ersten Note an merkst, dass du eine Balance zwischen Anspannung und Konzentration erreicht hast. Auch die Musiker um einen herum spüren diesen Moment. Es ist dann wie 2014 beim Endspiel Deutschland gegen Brasislien, als wir Weltmeister wurden. Bei dem Spiel lief nichts falsch.
Welche Rolle spielt dabei das Publikum?
Gar keine! Ich kann einen perfekten Moment haben bei mir zu Hause, der ist genauso schön wie vor 100 oder 10.000 Leuten. Es macht für mich körperlich und emotional keinen Unterschied, ob überhaupt jemand zuschaut.