Wenn Markus Genesius auf Knopfdruck in die Kamera lächeln soll, dann fällt ihm das gar nicht so leicht. Dann gehen die Mundwinkel kurz nach oben und genauso schnell auch wieder runter. Wenn er allerdings von seiner Arbeit erzählen soll, dann sieht das ganz anders aus. Dann huscht von ganz alleine ein Lächeln über seine Lippen, und seine Augen beginnen zu leuchten. Ja, Markus Genesius ist sehr zufrieden damit, dass aus ihm ein Künstler geworden ist. Das sieht man ihm nicht nur an, das sagt er auch so.
Mittlerweile blickt der Urban-Art- und Graffiti-Künstler, auch bekannt unter dem Künstlernamen Wow123, auf 32 Jahre in der Szene zurück, die er nun unter dem Titel „Inner Conflict“ in einer umfassenden Monografie Revue passieren lässt. Seit etwa sieben Jahren lebt der Bremer komplett von seiner Kunst. Seit zehn Jahren hat er eigene Arbeitsräume.
Spätestens hier sieht man, dass Genesius nicht nur Streetart-Künstler ist, sondern Teil der gesamten Hiphop-Kultur. Auf dem Boden reihen sich Sneakerpaare an Sneakerpaare zu einer Sammlung, an den Wänden und in Vitrinen findet sich einschlägige Kunst von Kollegen – KAWS, MIST, SEEN. Und auch einige Schwarzweiß-Fotografien von vermummten Jugendlichen auf Bahngleisen.
Auch musikalisch verfolge er weiterhin, was in der Szene so passiert, doch nicht alle Entwicklungen gefallen ihm. „Es ist schlimm, was Rapper heute alles tun, um zu provozieren“, sagt er. Ein besonderes Verhältnis hat er zu Samy Deluxe. Wer genau hinsieht, entdeckt in dessen „Hochkultur“-Podcast auch eine Arbeit Genesius’ an der Wand.
Als er 1984 von der Breakdance-Welle mitgerissen wurde („ich war grottenschlecht“), stieß Genesius zum ersten Mal auf etwas, das schließlich sein ganzes Leben prägen sollte. Das Graffito. Mit etwa 14 startete der heute 46-Jährige seine ersten eigenen Zeichen- und Sprayversuche, eine Skizze mit dem Schriftzug „L.L. Cool J.“ aus den späten Achtzigern findet sich auch in der Monografie wieder. „Die habe ich neulich bei Instagram gepostet, und L.L. Cool J. hat den Post geliked“, erzählt Genesius. Und wieder huscht da dieses Lächeln über sein Gesicht.
Genesius ist nicht den klassischen Weg über die Kunsthochschule gegangen. Er hat eine kaufmännische Lehre gemacht und sich die Kunst selbst beigebracht. „Ich bin froh über diesen Umweg“, sagt er rückblickend. „Ich glaube, er hat einfach besser zu mir gepasst.“ Natürlich habe auch er, wie alle anderen, „seine Spuren hinterlassen“, in der Welt des illegalen Graffiti. Nachdem er einmal erwischt wurde, ließ er relativ schnell die Finger davon und wechselte auf die legale Seite.
Gefühlt haben die illegalen Graffiti in der Stadt allerdings in den vergangenen Jahren „krass zugenommen“, findet Genesius. „Die Leute scheinen Angst vor Leere und freien Flächen zu haben.“ Nicht alles muss einem gefallen, aber auch nicht alle illegalen Arbeiten sind schlecht, findet der Mann vom Fach. „Das muss man individuell bewerten.“ Auch von Genesius sind in Bremen und in diversen Ländern auf der ganzen Welt Wandarbeiten zu finden. Legale natürlich.
Irgendwann ließ der Reiz allerdings ein wenig nach. Genesius wollte neben der Arbeit auf der Straße auch neue Wege gehen, nämlich den in die freie bildende Kunst. „Ich dachte aber lange, Graffiti funktioniert nicht auf der Leinwand“, sagt er. „Der Duktus, die Dynamik – das alles ist auf einer Wand einfach völlig anders.“ Er versuchte es trotzdem und hatte im Jahr 2000 seine erste Ausstellung in Bremen. „Noch völlig konzeptlos“, wie er rückblickend sagt. „Für mich hat sich das auch lange Zeit nicht richtig angefühlt, und Stylewriting auf Leinwand finde ich bis heute schwierig.“
Erst zehn Jahre später kam ihm eine Idee, die schließlich sein Markenzeichen wurde und auf der Leinwand genauso gut funktioniert wie an der Mauer: das Fernsehtestbild. „Der Farbcode, der Kreis, die Striche – für mich vereint es einfach die stärksten Elemente in sich“, sagt Genesius. Seit etwa zehn Jahren bestimmt das Motiv sein Schaffen, wird in immer wieder neuen Varianten von ihm umgesetzt – mal noch deutlich an frühere Graffiti angelehnt, mal klar strukturiert, dann wieder bis fast zur Unkenntlichkeit verfremdet. Selbst Skulpturen und Teppiche gibt es mittlerweile. Und auch inhaltlich steht das Testbild für ihn für eine ganz bestimmte Sache: abschalten. Noch bis in die frühen 1990er-Jahre war irgendwann Schluss mit dem Fernsehprogramm, das Testbild erschien. Heute sind wir einer ständigen Dauerberieselung ausgesetzt, die Zeiten des Testbildes – zumindest in Deutschland – sind längst vorbei.
Auch wenn mittlerweile ein großer Teil seiner Arbeit auf der Leinwand stattfindet, sind seine Werke noch immer komplett gesprayt. „Ich habe mal Acrylfarben ausprobiert, aber das fühlte sich nicht gut an“, sagt Genesius. Wo andere Künstler sich lange an Skizzen für ihre Arbeiten aufhalten, entsteht bei Genesius alles im Kopf. „Und dann leg ich einfach los“, sagt er. Auch am Computer arbeitet er nicht. „Ich habe Angst, dass das die Spontanität und das freie Arbeiten kaputt machen würde.“
Seine Aufgabe sei es, auf der Leinwand Chaos zu stiften und dieses im Anschluss zumindest ein bisschen wieder aufzuräumen. Warum ihm das gefällt? „Diese Mischung aus Chaos und Gradlinigkeit spiegelt wahrscheinlich auch meine Persönlichkeit wider“, lautet Genesius’ Selbstanalyse. Dass er irgendwann mal genug vom Testbild-Motiv hat, kann er sich nicht vorstellen. „Ich habe noch so viele Ideen, die ich umsetzen will!“
Genesius ist viel rumgekommen, hat in insgesamt 44 Ländern gearbeitet, war international in Ausstellungen vertreten und hat dabei nie so richtig Pause gemacht. „Eigentlich habe ich 32 Jahre durchgesprayt“, sagt er. Eine Kunststiftung ermöglichte ihm mehrere längere Aufenthalte in Marokko, er wurde nach Russland eingeladen, beteiligte sich an Projekten in China oder bemalte einen Sportplatz in Frankreich.
Wenn es um spannende Freundschaften und um tolle Erlebnisse im Laufe seiner bisherigen Karriere geht, sieht Genesius sich als „einen der reichsten Menschen der Welt.“ Und da ist es wieder, das Lächeln, das man erst aus ihm herauskitzeln muss, das dieses Mal aber bleibt.
Weitere Informationen
Markus Genesius: Inner Conflict. Open Space Edition, Bremen. 338 Seiten, 39 Euro.
Eine Liste mit Verkaufsstellen des Buches unter www.markus-genesius.com.