Der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarats sagt es ganz klar: Wenn die Menschheit zum Ende dieses Jahrhunderts die Klimaerwärmung auf eine Marke unter 1,5 Grad begrenzen will, reicht Klimaneutralität aufgrund des viel zu zögerlichen Klimaschutzes der vergangenen Jahre alleine nicht mehr aus. Die Menschheit muss zusätzlich aktiv dafür sorgen, dass mehr Kohlendioxid (CO2) der Atmosphäre entzogen wird, als das aktuell durch natürliche Prozesse der Fall ist.
Am wirksamsten gelingt das, indem zerstörte natürliche Senken wiederhergestellt werden, also Ökosysteme, die CO2 langfristig binden. Das sind vor allem Wälder und Moore. Denkbar wäre auch, Seegraswiesen zu pflanzen, denn deren Wachstum bindet ebenfalls Kohlendioxid. Nicht zuletzt könnte die natürliche Gesteinsverwitterung gefördert werden. Dazu brächten Landwirte Gesteinsmehl auf ihren Feldern aus, das CO2 aufnimmt und zugleich als Dünger dient.
Reine CO2-Abscheidung unwirtschaftlich
Erste Unternehmen erproben außerdem technische Systeme, die das Treibhausgas der Atmosphäre entziehen. Industrieunternehmen können ebenfalls das von Fabriken oder Kraftwerken ausgestoßene CO2 direkt aus den Abgasen abfangen. In beiden Fällen könnte es langfristig gespeichert werden, beispielsweise in entsprechenden natürlichen Lagerstätten im Gestein.
Der Nachteil: CO2 lediglich abzuscheiden und möglichst für die Ewigkeit zu speichern, ist ein reiner Kostenfaktor. Kritiker sorgen sich zudem, wie sicher solche Speicherstätten sind. Hinzu kommt, dass selbst mit enormem finanziellen Aufwand derartige Lösungen wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein können: Der derzeit weltgrößte „CO2-Sauger“ auf Island filtert im Jahr 4.000 Tonnen Kohlendioxid aus der Luft. Um die globalen Emissionen des Jahres 2022 aufzusaugen, bräuchte es etwa neun Millionen derartige Anlagen.
Wirtschaftlicher wäre es da schon, was unter anderem Forscher am Bremer Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie untersuchen: Sie wollen das Treibhausgas als Rohstoff für biotechnologische Prozesse nutzen und daraus grüne Chemikalien herstellen. Die damit verbundene Wertschöpfung könnte diese Vorgehensweise für Unternehmen attraktiv machen – wenngleich der Beitrag zum Klimaschutz noch kleiner ausfiele als bei der reinen Speicherung. Denn der Kohlenstoffbedarf der Chemikalienproduktion (ohne Kraftstoffe) ist gering im Vergleich zu den globalen Emissionen.
CO2-Nutzung als ein kleiner Beitrag
Weil am Ende aber jeder Beitrag zählt, lohnt sich ein Blick auf die biotechnologische CO2-Nutzung: Es gibt eine Reihe Mikroorganismen, die von Natur aus Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen und als Nahrung nutzen können. Die Bremer Forscher etwa setzen auf das Archaeon Methermicoccus shengliensis, eine Methan produzierende Mikrobe, die im Wasser um Tiefsee-Ölquellen lebt und sich bei Temperaturen von 65 Grad Celsius wohlfühlt. Sie besitzt Enzyme, die in der Lage sind, CO2 in Ameisensäure umzuwandeln. Ameisensäure, auch als Formiat bezeichnet, ist ein wichtiger Ausgangsstoff für komplexere Moleküle für die chemische und die pharmazeutische Industrie.
Die Herausforderung besteht nun darin, diese Enzyme zu isolieren, um sie genauer zu untersuchen, sie gegebenenfalls gentechnisch zu optimieren und schließlich in einen technischen Produktionsprozess als Katalysatoren einzubinden. „Wir wussten, dass solche Enzyme sauerstoffempfindlich sind“, berichtet Olivier Lemaire vom MPI Bremen. „Deshalb mussten wir, um es von anderen Proteinen zu trennen, unter einer sauerstofffreien Haube ohne Umgebungsluft arbeiten – ziemlich kompliziert, aber es ist uns gelungen.“
Elektrode liefert Energie
Danach erlebten die Forscher eine positive Überraschung: Anderes als viele Enzyme aus der Familie der Ameisensäure-Dehydrogenasen katalysiert dieses Enzym fast ausschließlich die Hinreaktion. „Dass die bei der CO2-Fixierung entstehende Ameisensäure nicht zurückverwandelt werden kann und sich daher anreichert, ist äußerst interessant für ein mögliches CO2-Abscheidungssystem, vor allem, wenn wir es auf einer Elektrode aufspannen könnten“, erläutert Lemaires Kollege Tristan Wagner.
Die Elektrode könnte dann aus Ökostrom die Energie liefern, die die Mikrobe benötigt, um CO2 zu binden. Das wäre aus Nachhaltigkeitssicht doppelt attraktiv. Denn es ist zwar möglich, mit klassischen chemischen Verfahren CO2 über Elektroden für chemische Prozesse zu verwenden. Doch dabei wirken seltene und oft umweltschädliche Metalle als Katalysatoren. Im biotechnologischen Prozess träte an deren Stelle das Enzym.
Anders als Metalle lassen sich Enzyme jedoch häufig nicht so einfach an Elektroden koppeln, ohne an Aktivität einzubüßen. Das vom Max-Planck-Team untersuchte Enzym hingegen liefert an einer Grafitelektrode sehr gute Umsatzraten. „Die Stärke dieses an die Elektrode gekoppelten biologischen Systems liegt darin, wie effizient es die Elektronen von der Elektrizität auf die CO2-Umwandlung überträgt“, betont Lemaire. Damit existiert ein biotechnologischer Prozess, der kontinuierlich das Treibhausgas in Ameisensäure umwandelt, ohne dass dabei unerwünschte Nebenprodukte entstehen oder Strom verloren geht.
Der Preis bestimmt mit
„Vor uns hat noch niemand versucht, ein Enzym von einer solchen methanogenen Mikrobe für eine elektrodenbasierte Gasumwandlung zu nutzen“, sagt Wagner. Dementsprechend weit ist der Weg zu einer Produktion des Enzyms im industriell relevanten Maßstab. Als Nächstes will das Forscherteam jedoch zuerst die molekularen Abläufe der Enzymreaktion genauer verstehen.
Denn um sich am Markt durchsetzen können, müssen enzymbasierte Verfahren mindestens so wirtschaftlich sein wie ihre bestehenden chemischen Alternativen, damit Unternehmen Millionenbeträge in neue Fertigungsanlagen investieren. Zuletzt sind tolle Entwicklungen aus der Forschung häufiger an dieser Hürde gescheitert. Doch wenn sich Öl und Gas weiter verteuern – nicht zuletzt durch den CO2-Preis – steigen die Chancen für nachhaltige biotechnologische Prozesse. Im Fall der CO2-Nutzung als Rohstoff wäre das fürs Klima ein doppelter Gewinn.