Wenn man Menschen aus seiner Jugend nach zwanzig Jahren wiedertrifft, dann könnte das in etwa so klingen: "Du hast dich ja gar nicht verändert!" – "Na, du dich auch nicht." – "Frisch und jung wie eh und je." Was man sagt und was man eigentlich denkt, sind aber wahrscheinlich zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe. Denn mit ziemlich großer Sicherheit sieht fast niemand mit knapp 40 noch genauso aus, wie er oder sie mit knapp 20 ausgesehen hat. So ist nun mal der Lauf der Dinge und das ist ja auch gut so.
Und welcher Anlass könnte mehr Gelegenheiten bieten, alten Bekannten schamlos ins Gesicht zu lügen als ein Klassentreffen? Wohl keiner. So stellen auch Klaus (Peter-Benjamin Eichhorn), Jessica (Yvonne Disqué), Lena (Katrin Zierof), Anita (Andrea zum Felde) und Wolle (Pascal Pawlowski) fest, dass ihre Erinnerung an ihre früheren Freunde und die Realität nicht mehr ganz zusammen passen.
Auf der Rückbank des alten Toyota
Gerade Wolle, der eigentlich Hans-Otto heißt und als Musiker mit Lockenpracht und Schnäuzer der Frauenschwarm seiner Klasse war, hat nicht mehr viel von dem jungen Mann, der mit allen drei Frauen einst heiße Nächte auf der Rückbank seines alten Toyota verbracht hat. Sie alle konnten Wolle seither nicht so richtig vergessen. Er sie allerdings schon. Und deshalb haben die Frauen noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.
Gelegenheit dazu bekommen sie auf der Bühne der Komödie Bremen im Packhaustheater, wo "Klassentreffen – Pleiten, Pech und Kuckuckskinder" (Buch und Regie: Marco Linke) am Donnerstag seine Premiere feierte. Klaus hat seine vier besten Freunde von einst in ihr altes Klubhaus eingeladen, in dem sie zu Schulzeiten die wildesten Partys gefeiert haben. Er hat die einstige Fischerhütte vor ein paar Jahren gekauft und grundrenoviert. Dabei sind einige Erinnerungen hochgekommen, sogar eine alte Kiste mit Kostümen der letzten Faschingsparty hat er wiedergefunden.
Alle Freunde nehmen die Einladung an, freuen sich, dass Klaus – Cordhose, Hornbrille, Karo-Pullunder – noch immer so lieb und sensibel ist wie früher. Und knüpfen mit Jägermeister (Anita), Ouzo (Jessica) und Wodka (Lena) schnell an die schöne Zeit von damals an, so als hätten sie erst gestern gemeinsam getanzt. Als es dann dunkel wird und alle sich bereits in ihre Zimmer zurückgezogen haben, zeigt sich, dass Lena, Anita und Jessica vielleicht doch gar nicht ganz so sauer auf ihren ehemaligen Liebhaber Wolle sind, wie es anfangs scheint ...
Überzeugendes Ensemble
Bei der Auswahl des Ensembles hat das Theaterteam fünf Volltreffer gelandet. Peter-Benjamin Eichhorn mimt einen liebenswerten Klaus, der zu Unrecht immer ein bisschen im Schatten seines besten Freundes stand. Pascal Pawlowski spielt einen Lebemann, der vielleicht in die Jahre gekommen ist, aber nichts von seinem Selbstbewusstsein und seiner Anziehungskraft eingebüßt zu haben scheint.
Und Yvonne Disqué, Andrea zum Felde und Katrin Zierof verkörpern drei toughe und ganz unterschiedliche Frauen, die sich nehmen was sie wollen – notfalls auch unter Androhung von Kastration. Trotz kleinerer Probleme mit den Mikrofonen im Laufe des Premierenabends überzeugen die fünf Darsteller auch gesanglich, wenn sie die Partysongs aus Schulzeiten singen und in Erinnerungen schwelgen.
An dieser Stelle ist allerdings auch Zeit für einen kleinen Kritikpunkt: Der Flyer zum Stück verspricht "Hits der 2000er". Songs wie "Saturday Night" von Whigfield, der plus dazu gehörigem Tanz 1995 der Renner war, Matthias Reims "Verdammt ich lieb' Dich" (1990) und diverse bereits in den Achtzigern oder frühen Neunzigern gefeierte Songs von Wolfgang Petry, Pur oder Klaus Lage haben zwar auch auf Partys in den frühen 2000ern (und danach) gut funktioniert. Sie stehen bei vielen aber sicher nicht ganz oben auf der Liste, wenn sie an die Musik der damaligen Feten denken. Hier und da finden mit "The Ketchup Song" und Co. dann aber doch noch die wahren Chartbreaker der Nullerjahre ihren Platz.
Und selbst, wenn sich der ein oder andere Theatergänger andere Hits gewünscht hätte, ändert die Songauswahl nichts daran, dass "Klassentreffen" gut unterhält, zum Mitwippen und Mitsingen einlädt. Und die Geschichte, die Elemente aus "Und täglich grüßt das Murmeltier", "Dinner for One" und diversen Verwechslungskomödien vereint, ist wunderbar amüsant, thematisiert mit viel Humor das Älterwerden und lädt auch das Publikum ein, in Erinnerungen an seine wilden Jahre zu schwelgen.