Alle im Sonntagsstaat, aufrecht sitzend auf dem Sofa, die Hände schön gefaltet. Der Blick geht zur Kamera, es wird kollektiv gelächelt – und der Mann oder die Frau auf der anderen Seite der Linse fängt ein Bild harmonischen Familienlebens ein. Alle sind einander zugewandt, verknüpft durch ein unsichtbares Band. Nicht so allerdings bei den Familienporträts, die die Bremer Fotografin Cosima Hanebeck inszeniert – hier stimmt irgendetwas ganz und gar nicht.
Was ist auf Cosima Hanebecks Familienbild #6 zu sehen?
Zu sehen ist ein stilisiertes Wohnzimmer mit Stehlampe, Sofa und Sessel: Cosima Hanebeck zeigt auf diesem Bild ihre eigene Familie. Doch sie hat nicht einfach sich, ihren Mann und ihre zwei Töchter per Selbstauslöser abgelichtet – sondern alle auf dem Bild zu sehenden Personen zunächst einzeln aufgenommen. Danach hat Hanebeck die Aufnahmen zum Porträt montiert. Warum? "Jeder Einzelne erhält die ungeteilte Aufmerksamkeit der Fotografin; das ist bei Gruppenporträts natürlich anders", erklärt Angela Tietze von der Städtischen Galerie. Der Effekt: Die Personen auf dem Bild strahlen eine intensive Präsenz aus. Dabei scheinen die Familienmitglieder gleichzeitig distanziert, fast entfremdet voneinander; das Ganze hat etwas Unwirkliches, vielleicht sogar etwas Unheimliches.
Was ist noch speziell an dem Bild?
Nicht nur der komplette Bildraum wirkt inszeniert, auch die Personen selbst, die "wie aus der Zeit gefallen sind", so Angela Tietze. Cosima Hanebeck und ihr Mann Christian Holtmann, der Maler ist, sind in konventionelle Mann-Frau-Outfits gekleidet: Er in Hemd und mit Schlips, sie im Rock, die Töchter haben brav die Hände auf die Oberschenkel gelegt. Der Muff der 50er-Jahre scheint sich hier festgesetzt zu haben. Alle wirken leicht erstarrt, was auch als Reminiszenz an die in der Anfangszeit der Fotografie und die einst sehr lange Belichtungszeit gewertet werden kann: Man durfte sich minutenlang Zeit nicht rühren. "Cosima Hanebeck greift so die Tradition von Familienporträts auf eigene Art auf", erklärt Ingmar Lähnemann, Leiter der Städtischen Galerie. Kleiner Gag am Rand: Das Porträt hängt als Bild-im-Bild auch an der Wand.
In welchem Zusammenhang ist das Bild entstanden?
Das Bild, das seit 2014 im Besitz der Städtischen Galerie ist, ist Teil einer Serie mit dem Titel "Like you" – "bei allen Aufnahmen wirkt es so, als stimme etwas nicht mit der Beziehung der Menschen zueinander". So stark inszeniert und stilisiert wie das Porträt ihrer eigenen Familie hat Hanebeck die anderen Aufnahmen aber nicht. Sie besucht die Menschen in ihren Wohnzimmern, überlässt es ihnen aber, wie sie sich präsentieren wollen. Doch das Verfahren ist dasselbe: Alle werden einzeln aufgenommen und hinterher zu einer Familie zusammengefügt.
Wer ist Cosima Hanebeck?
Cosima Hanebeck hat an der Hochschule für Künste Bremen (HfK) bei Peter Bialobrzeski studiert, und zwar von 1999 bis 2007. Wie ihre anderen Kommilitoninnen und Kommilitonen dieser Fotoklasse hat sich laut Ingmar Lähnemann auch Cosima Hanebeck emanzipiert und eine eigene Bildsprache entwickelt. Sie lebt in Bremen und arbeitet nicht nur als Fotokünstlerin, sondern auch als kommerzielle Fotografin. 2016 hat sie mit einem Stipendium des Goetheinstituts einen Monat in Bremens türkischer Partnerstadt Izmir verbracht und dort eine Porträtserie fotografiert. Sie wird vertreten von der Galerie Kramer.