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Forschung zu Meeresalgen "Grüner Kaviar" ist nicht zu unterschätzen

Auf der Suche nach neuen gesunden, nachhaltigen und leckeren Nahrungsmitteln rückt eine Tropenforscherin die Meerestrauben in den Fokus.
13.09.2022, 05:00 Uhr
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Von Björn Lohmann
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Gesund, schmackhaft und nachhaltig: So sollte die ideale Ernährung aussehen. Der durchschnittliche deutsche Speiseplan ist davon jedoch weit entfernt. Zwar gibt es sie durchaus, die Lebensmittel, die alle drei Kriterien erfüllen. Doch Forschende suchen zusätzlich nach neuen und neuartigen Lebensmitteln. Eine Forschungsgruppe vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und der AG Meeresbotanik der Universität in Bremen hat jetzt eine solche Kandidatin näher untersucht: die Meerestraube.

„Besonders an den grünen Meerestrauben ist deren Struktur aus weintraubenartigen oder kaviarähnlichen Bällchen, die so schön aufplatzen, wenn man draufbeißt“, schwärmt Lara Stuthmann vom ZMT. Zwar ist die Meerestraube leicht salzig, doch anders als Rot- oder Braunalgen habe die auch „Grüner Kaviar“ genannte Pflanze kaum den typischen Algengeschmack, findet Stuthmann. Das mache sie ebenso für Menschen interessant, die Algen nicht so mögen. Weil die hübsche, jedoch empfindliche Alge in heißem Wasser schnell zerfällt, wird sie am besten frisch in Sushi, Salaten oder einfach mit einer Sesam-Soße gegessen. In Asien ist das bereits üblich, in Europa ist die Meerestraube noch nicht als Lebensmittel anerkannt. Schmackhaft ist die Meerestraube demnach wohl. Ist sie auch gesund?

Hoher Proteingehalt

Wie viele andere Algen auch hat die Meerestraube einen hohen Gehalt an Proteinen, gesunden mehrfach ungesättigten Fettsäuren und Antioxidantien, darunter Carotinoide, die Vitamine E und C sowie Polyphenole. Antioxidantien sind ein wichtiger Teil der menschlichen Ernährung. Ihnen werden Schutzwirkungen gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und gegen viele andere gesundheitliche Probleme zugeschrieben. Obendrein wirken sie dem Alterungsprozess entgegen.

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Gerade erst konnte Stuthmann zeigen, dass sich der Gehalt an antioxidativen Stoffwechselprodukten in den Meerestrauben sogar noch deutlich steigern lässt: Die Alge produziert diese Stoffe als Schutzreaktion gegen Sonneneinstrahlung. Aquakulturen in Asien sind deshalb durch schwarze Gaze-Bahnen beschattet, damit die lichtempfindlichen Wasserpflanzen nicht geschädigt werden. Würden die Algen jedoch nach der Ernte für ein paar Tage der Sonne ausgesetzt, könnten sie Antioxidantien-Gehalte entwickeln, die sie mit „Super-Früchten“ wie Granatapfel, Goji- und Aronia-Beeren auf ein Niveau höben. Sogar eine noch höhere Konzentration an Antioxidantien ließe sich erzielen, berichtet die Forscherin. Dann würden die Algen zwar ausbleichen und sähen weniger ansprechend aus. Aber die Kosmetikbranche könnte daran durchaus Interesse haben.

Algen in Aquakultur

Bleibt die Frage nach der Nachhaltigkeit. „Algen sind an sich schon nachhaltig, weil sie Pflanzen sind“, erläutert Stuthmann. Sie bekommen Energie dadurch, dass sie Nährstoffe aufnehmen, Kohlendioxid verbrauchen, Photosynthese betreiben und Sauerstoff produzieren. Weil zu viele Nährstoffe aus Abwässern und Landwirtschaft vor den Meeresküsten oft ein Problem sind, ist der Nährstoffentzug durch Algen wünschenswert. Er beugt der sogenannten Eutrophierung vor, die Gewässerökosysteme empfindlich stören kann.

Gerade an den asiatischen Küsten findet sich viel Platz, wo Algen in Aquakultur angebaut werden können. Ob eine intensivierte Aquakultur-Nutzung jedoch am Ende die umliegenden natürlichen Ökosysteme beeinträchtigt, ist eine andere Frage, die Forschende des ZMT intensiv untersuchen. Doch Stuthmann schwebt weniger die Ausweitung von Anbauflächen vor, sondern eine sogenannte Co-Kultivierung: Aquakulturbetriebe könnten die Meerestrauben beispielsweise gemeinsam mit Garnelen oder der in Vietnam als Delikatesse geltenden Schnecke Babylonia züchten. Dann wären sogar landbasierte Indoor-Aquakulturen möglich, die sich für Algen alleine vielleicht nicht rechneten.

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„Eine Co-Kultur ist extrem nachhaltig, weil Nährstoff-Rückstände zum Beispiel aus der Shrimps-Zucht nicht ins Abwasser gegeben würden, sondern von Algen als Nahrung aufgenommen und in Biomasse umgewandelt werden können“, erklärt die Forscherin. Ein langfristiges Forschungsziel am ZMT ist die integrierte multitrophe Aquakultur: Fische, Shrimps oder Schnecken werden gefüttert, Algen nehmen freiwerdende Nährstoffe auf, Seegurken fressen das Sediment und geben Nährstoffe an Muscheln ab, deren Abfallprodukte dann wieder von Algen recycelt werden ... Derartige Systeme würden auch als offene Aquakultur das umliegende Gewässer kaum beeinträchtigen und wären ressourceneffizient und wirtschaftlich.

Farmen auch in Deutschland?

Weil die deutschen Meeresküsten der Meerestraube zu kalt sind, käme für eine Zucht in Deutschland wohl nur eine Co-Kultivierung in geschlossenen Systemen infrage. Dafür wären etablierte Co-Kultur-Arten wie Shrimps hilfreich, denn sonst müsste der Produzent gleich zwei neue Produkte am Markt etablieren, vermutet Stuthmann.

Grundsätzlich wären jedoch auch in Deutschland offene Algenkulturen an den Küsten denkbar – es existieren Algenfarmen ebenso in Portugal wie in Norwegen und Dänemark. „Es gibt mehr als 10.000 Algenarten, von denen wir noch nicht wissen, wie man sie hält und ob sie schmecken“, sagt Stuthmann. „Nur acht Algengruppen werden bislang kultiviert.“ Das ist nicht ohne Risiko: Durch Krankheiten können dann große Teile der Algenproduktion auf einmal absterben. „Die Erwärmung durch den Klimawandel verschlimmert das Problem“, gibt die Forscherin zu bedenken und plädiert daher für eine Diversifizierung der angebauten Algenarten. Und weil Europäer leicht unterschätzen, welche Bedeutung Algen für die Welternährung haben, nennt Stuthmann noch eine Zahl: „Mehr als 50 Prozent der Biomasse in marinen Aquakulturen sind heute schon Algen.“

Zur Sache

Chips aus Quallen

Auch Quallen werden in Asien bereits als Nahrungsmittel genutzt, außerdem als Tierfutter und Rohstoffquelle für Kosmetika. Neben ihrem hohen Wassergehalt weisen die Tiere viel Protein auf. Weil einige von ihnen in Symbiose mit Mikroalgen leben, kommen deren Stoffwechselprodukte als weitere wertvolle Nährstoffe hinzu. Algen stehen zudem weit unten in der Nahrungskette und sind entsprechend anspruchslos, was die eigene Ernährung betrifft. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung erforschen Wissenschaftler daher, in welcher Form Mangrovenquallen in Aquakultur für den europäischen Markt gezüchtet werden könnten. Denkbar wären dann beispielsweise Quallen-Chips.

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