Weit zurück in die Geschichte ging in diesem Jahr die Kunsthalle Bremen mit ihrer Ausstellung „Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst der Kolonialzeit“. Doch die Schau, die Anfang August eröffnete und am 19. November wieder abgebaut wurde, blickte gleichzeitig immer auf die Gegenwart. „Der blinde Fleck“ changierte zwischen Handels- und Kunstgeschichte, wollte dabei gleichzeitig philosophische und politische Fragen aufwerfen: „Wie wurde dem Fremden begegnet?“, und „Woher kommt der Reichtum?“ Das erwies sich als ganz schön viel Stoff für die Schau, mit der die Kunsthalle immerhin als erstes deutsches Kunstmuseum seine koloniale Vergangenheit aufarbeitete.
Gleich zu Beginn der Ausstellung musste man sich mental ins 19. Jahrhundert versetzen, in die Zeit, in der sich der Bremer Kunstverein gründete. Das war 1823. Dem Verein wiederum verdankt Bremen, dass 1849 die Kunsthalle gebaut wurde als erstes eigenständiges Haus in Deutschland, das die Schenkungen bürgerlicher Sammler beherbergte. Unter den Exponaten, die ausgestellt wurden, fanden sich zunehmend Werke, die die Mäzene, also Bremer Kaufleute und Firmen, aus den Gegenden der Welt mitbrachten, in denen sie Handel trieben – sprich: aus den Kolonien.
Auf Bildern von Künstlern wie Emil Nolde, Max Pechstein, Fritz Behn oder Ernst Ludwig Kirchner, die auf dem Ticket dieser Mäzene reisten, wurde das Exotische gern als Sensation vorgeführt, der Mensch ausschließlich als Motiv genutzt. Das Fremde wird so ausgestellt, mal als naiv und unschuldig, dann als Projektion für Träume und Wünsche. Oder als triebhaft: dunkelhäutige Frauen locken den (weißen) Mann mit erotischen Posen, auch das Bild von der sexuellen Übergriffigkeit wie der Laszivität des (dunklen) Fremden hält sich bis heute hartnäckig in den Köpfen. Genau das brach in der Ausstellung das fotografische Werk „Re-Take of Amrita“ von Vivan Sundaram auf. Diese Fotoserie inszenierte ein 1934 entstandenes Selbstporträt der Künstlerin Amrita Sher-Gil als Fotografie-Serie neu und gibt Sher-Gil so die Hoheit über ihre Körperlichkeit zurück. Auch der Kolonialhandel und somit Ausbeutung war Thema der Schau, beispielsweise mit einem Stillleben Paula Modersohn-Beckers, die die gerade erst in Europa verfügbare Banane 1905 malte. Auch bei diesem Thema wagte die Schau den Bruch: Werbeplakate des Norddeutschen Lloyd für „Orient-Reisen“ hier, eine Arbeit der nigerianisch-deutschen Künstlerin Ngozi Schommers dort. Schommers kontrastierte die Verpackungen Bremer Kolonialwaren mit den in Kohle gezeichneten Porträts von 50 westafrikanischen und afro-deutschen Frauen. Deren Urgroßeltern könnten diejenigen gewesen sein, die diese Verpackungen einst gefüllt haben. Das spannendste Kunstwerk der Ausstellung war allerdings gar nicht in der Kunsthalle zu sehen, sondern im Rathaus. Hew Lockes Schiff unter dem Titel „Cui Bono“ (Wem zum Vorteil?) hat das, an was in der Ausstellung bei allen mitunter krampfigen Bemühungen, historische Bezüge korrekt darzustellen, zu kurz kam: Hintersinn. Das mit barocker Fülle gestaltete Boot bestach durch eine klug ausgestaltete Symbolik.
Rückgabe menschlicher Überreste
Bereits im Mai 2017 kam es auch zu einem ganz besonderen Ereignis im Bremer Übersee-Museum. Das Museum gab menschliche Überreste der Völker der Māori und der Moriori an den Staat Neuseeland zurück. Nach Bremen gelangt sind sie ab 1896 durch Hugo Schauinsland, den Gründungsdirektor des Übersee-Museums. Er unternahm während seiner Amtszeit vier große Sammel- und Forschungsreisen. Die erste führte ihn unter anderen nach Neuseeland und auf die Chatham-Inseln. Dort sammelte er, ohne zu fragen, natur- und völkerkundliche Objekte, darunter eben auch Tiere sowie menschliche Überreste. Dieses Vorgehen war im 19. Jahrhundert, zur Zeit des Kolonialismus, häufig ein Bestandteil der Sammlungsstrategie für anthropologische Sammlungen. Eine verbreitete Methode also, ethisch – wie Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt einräumte – aber nicht vertretbar. Insgesamt fanden die menschlichen Überreste von bis zu 44 Moriori und Māori ihren Weg ins Übersee-Museum.
Der Botschafter von Neuseeland aus Berlin sowie eine fünfköpfige Delegation vom Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa aus Wellington waren im Mai extra nach Bremen gereist, um die Überreste der „ancestors“ (Ahnen) entgegenzunehmen und sicher nach Hause zu bringen. Denn für die Māori sind die Knochen nicht einfach nur die sterblichen Überreste ihrer Vorfahren. Für sie sind die Gebeine auch nach dem Tod beseelt, sie verehren sie als ihre Ahnen.
Es war laut Museumsdirektorin Ahrndt das erste Mal, dass Medienvertreter in Deutschland an so einer Zeremonie teilnehmen durften. Die Verantwortlichen des Überseemuseums und alle Teilnehmer der Zeremonie mussten sich gründlich auf das Ereignis vorbereiten, denn der Prozess der Ahnenübergabe wird begleitet von einem streng reglementierten Ablauf. Zum Beispiel mussten alle Anwesenden aus Respekt vor den Ahnen darauf achten, den Überresten nie den Rücken zuzudrehen.
Für die Māori ist die feierliche Zeremonie dazu da, die Vorfahren, tūpuna genannt, zu begrüßen. „Aber sie wollen auch uns damit die Gelegenheit geben, uns gebührend zu verabschieden“, erklärte Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt einige Tage vor der großen Übergabe. Zwei aus Neuseeland angereiste „Älteste“ sorgten dafür, dass bei der Zeremonie alle Rituale richtig durchgeführt wurden. Nur so, erklärte Māori Co-Leader Arapata Hakiwai vom Te Papa Museum später, kann gewährleistet werden, dass einer sicheren Heimreise der Ahnen nichts im Weg steht.
Die Zeremonie im Überseemuseum war ein sehr bewegendes Moment sowohl für die Māori als auch für alle anderen Anwesenden. Insbesondere der Māori Co-Leader Hakiwai wischte sich ergriffen immer wieder Tränen aus den Augen. „Danke, dass Sie sich all die Jahre um unsere Vorfahren gekümmert haben, und sie nun heimkommen dürfen“, sagte er später in seiner Rede. Vertreter des Bremer Senats und des Überseemuseums entschuldigten sich bei den angereisten Gästen sowie bei den Ahnen selbst für das Unrecht, was ihnen damals widerfahren ist.