Herr Ólafsson, spreche ich Sie besser mit Víkingur an?
Víkingur Ólafsson: Wie Sie möchten. Ólafsson ist ein Patronym. Das bedeutet, dass mein Vater den Vornamen Olaf trug. Mein Sohn heißt mit zweitem Namen Víkingson. Meine Tochter würde Víkingsdottir heißen.
Wie würden Sie den Präsidenten Ihres Landes ansprechen?
Mit dem Vornamen.
In Bremen spielen Sie das Grieg-Klavierkonzert – Brot- & Butter-Repertoire für alle Pianisten. Gibt es trotzdem einen bestimmten Grieg-Code, den man kennen und knacken muss?
Einerseits würde ich sagen: keine Ahnung. Bei allen Werken kommt es darauf an, dass sie frisch, interessant und so klingen, als spiele man sie zum ersten Mal. Andererseits: naja. Man sollte die Nähe zu Schumann schon spüren, die Liszt-Verbindung in der Kadenz ebenfalls. Letzteres gibt es im Werk von Grieg sonst kaum. Es passt nicht richtig zu ihm. Eigentlich ist Grieg, und das wiederum muss man auch hören, ziemlich nah an der Volksmusik seiner norwegischen Heimat dran.
Kann man ihn falsch spielen?
Na klar. Das ist immer dann der Fall, wenn er sentimental klingt. Er wird dann billig. Man muss halt die Balance treffen. Gut gemacht haben das zum Beispiel mein guter Freund Leif Ove Andsnes, früher natürlich auch Dinu Lipatti, aber der ist ja eh ein Heiliger. Im Übrigen würde ich so sagen: Man muss immer überpräpariert sein, um im richtigen Augenblick etwas vergessen zu können. Nein, vielmehr: um alles vergessen zu können. Hatte ich schon gesagt, dass es auf Spontaneität ankommt? Die kann man nur dann erreichen, wenn man alles nur Mögliche über einen Komponisten weiß – und es im richtigen Augenblick wieder vergisst.
Grieg besaß eines der schönsten Komponierhäuschen der Welt: unterhalb seiner Villa in Troldhaugen, direkt am Wasser. Sollte man als Pianist die dortige Atmosphäre kennen?
Es kann nicht schaden. Ich habe es sogar einmal besucht. Ganz toll. Die Schönheit der Landschaft in der Vorstellung nachzuvollziehen, kann, glaube ich, schon von Vorteil sein. Aber auch das darf nicht zu viel werden. Vor allem gilt: Bloß nichts überzuckern. Nichts kandieren.
Das Bergen Symphony Orchestra, von dem Sie begleitet werden, ist sozusagen Griegs lokale Truppe. Macht das einen Unterschied?
Für das Werk ist das Bergen Symphony Orchestra schlicht und ergreifend das beste Orchester der Welt. Die Musiker können das Stück im Schlaf. Sie haben es in Liebe verinnerlicht, und zwar total. Ich kann dankbar dafür sein.
Zum Klavier kamen Sie durch Ihre Mutter, eine Klavierlehrerin. Wäre das nicht eher ein Grund gewesen, nicht Klavier zu spielen?
Es hat auch nicht funktioniert. Bei ihr lernte ich nur ein Jahr, dann merkten wir, dass es zu persönlich wird. Heute bin ich selber ein noch ungeduldigerer Kritiker meiner selbst, während meine Mutter mir Mut zuspricht. Auch meine Frau kritisiert mich, denn sie spielt gleichfalls sehr gut Klavier.
Klingt belastend.
Ich finde es eigentlich richtig. Unglücklich macht mich, dass wir alle eine Neigung haben, für sicher zu halten, was wir einmal können. Das produziert Fehler. Man muss, was man kann, immer neu zurückerobern.
In Island haben Sie einmal den landeseigenen Optimismus-Preis gewonnen. Ist Optimismus in Island eine wichtige Eigenschaft?
Schon, denn es ist zeitweilig so dunkel und kalt, dass man sich Wege überlegen muss, diese kargen Monate durchzustehen. Jetzt auch noch weltpolitische Lage. Da kann man Optimismus brauchen, und ich kann sagen, dass ich selber sogar optimistisch bin. Schon als Musiker, wissen Sie: All die Streams, die Zugänglichkeit der Musik überall, das scheinen mir gute, positive Sachen zu sein. Sie sehen, ich hab’ den Preis nicht umsonst gewonnen.
Ihre Alben klingen irgendwie anders als bei anderen Pianisten. Woran liegt’s?
An der Aufnahmetechnik, allerdings nur zum Teil. Ich versuche immer, eine gewisse Intimität vorm Mikrofon herzustellen, und glaube, dass dies der eigentliche Sinn von Studioaufnahmen ist. Ich möchte Stücke so spielen, als flüstere ich dem Hörer ein Geheimnis ins Ohr. Deswegen sitze ich etwas dichter zum Mikrofon. Wenn auch nicht so dicht wie es – in der Vergangenheit – bei Jascha Heifetz oder Glenn Gould der Fall war. Das wäre mir zu trocken. Ich denke, dass man live in der Carnegie Hall einfach anders spielt – und anders spielen muss – als auf einer Platte. Eigentlich geht es wohl immer darum, eine dritte Dimension zu erreichen. Das Unmögliche.
Wie ist Ihr Verhältnis zu falschen Tönen?
Der Pianist Vladimir Horowitz meinte, man müsse immer ein paar falsche Töne einschmuggeln, um glaubhaft zu bleiben. Da ist was dran. Ich glaube nicht, dass sich Franz Liszt den Kopf über falsche Töne zerbrach. Große Pianisten machen große Fehler. Warum nicht?!
Früher lebten Sie mal in Berlin. Vorbei?
Es ging nicht mehr länger, oder schien jedenfalls nicht mehr recht praktikabel. Nicht nur, dass ich ungefähr 200 Tage im Jahr auf Tour bin. Wir haben inzwischen zwei kleine Söhne, mit denen ich gern mehr Zeit verbringen will. Wir leben jetzt ganz in Reykjawík. Berlin und dem Publikum in Deutschland gehört aber immer noch meine ganze Zuneigung. Ich komme so oft es geht wieder.
Gern festgestellt wird Ihre äußerliche Ähnlichkeit mit dem gleichfalls cool bebrillten Jazz-Pianisten Bill Evans. Zufall?
Großartiger Pianist, gar keine Frage. Ich bewundere ihn. Der Unterschied liegt im Lifestyle. Ich nehme weniger Drogen. Gar keine, um genau zu sein.
Jedenfalls sind Sie ein klassischer Pianist, verfügen aber trotzdem fast über ein Pop-Image. Oder wissen Sie gar nicht, was gemeint ist?
Doch, doch. Ich bedanke mich für das Kompliment. Zugeben würde ich, dass ich kein richtiges Klassik-Image habe – was auch immer das bedeuten würde. Es liegt daran, dass ich einen anderen Fotografen beschäftige. Ich gestalte auch die CD-Cover mit, schreibe meine Booklets selber und lege großen Wert auf das optische Erscheinungsbild des Ganzen. Im Pop-Bereich aber würde ich gewiss anders aussehen.
Wie denn?
Schauen Sie mich an. Irgendwie glamouröser.
Das Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser.