Verwirrt laufen Fabian Eyer und Anne Sauvageot durch ein Bühnenbild, dass aus auf dem Boden liegenden Traversen besteht, an denen einige Scheinwerfer befestigt sind. Was sie an diesem Ort wollen, wie sie dort hingekommen sind und wie es nun weitergehen soll, scheinen sie selbst nicht zu wissen. Fast wirken sie wie zwei Freunde, die am Morgen nach einer durchzechten Nacht versuchen, zu rekonstruieren, was am Vorabend nach dem siebten Gin Tonic passiert ist.
Hier war jedoch kein Alkohol im Spiel. Das, was Eyer und Sauvageot so durcheinanderbringt, ist das, was die meisten Menschen im Alltag möglichst meiden: Chaos. Ein heilloses Durcheinander, das uns vergessen lässt, was gestern war und was morgen ist, weil einfach zu viel auf einmal auf uns einprasselt, als dass wir noch in der Lage wären, den Überblick zu behalten.
Aber muss Chaos immer etwas Schlechtes sein? Ist es das Chaos, dass uns Menschen stresst oder doch vielmehr unser Drang, für eine gewisse Ordnung sorgen zu müssen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Stück, für das das Kollektiv Arnold & Bianka verantwortlich zeichnet, hinter dem sich Fabian Eyer und Anne Sauvageot aus dem Moks-Ensemble, Theaterpädagogin Valeska Fuchs und der frühere Moks-Dramaturg Sebastian Rest verbergen. Die Gruppe hat sich am Theater Bremen bereits vor über zwei Jahren im Stück "Wie lange geht das noch?" mit dem Thema Langeweile auseinandergesetzt. Nun regiert das "Chaos!".
Je mehr Eyer und Sauvageot versuchen, Ordnung in das sie umgebende Durcheinander zu bringen, desto mehr scheinen sie sich darin zu verlieren. Es tropft von der Decke, es blitzt und donnert, ein Scheinwerfer knallt durch, ein Tisch fällt um, eine Leiter zerbricht. Die Grenzen zwischen oben und unten, zwischen Anfang und Ende, verschwimmen ebenso wie vieles andere, worauf eigentlich Verlass sein sollte. Die Stimme ist plötzlich nicht mehr die eigene, Kleidung funktioniert nicht mehr so, wie sie es sonst tut. Alles scheint sich um ein Konzert zu drehen. Aber befinden wir uns in einer Schulaula oder sind das hier die Grammys? Sind die zwei Darsteller selbst die Musiker? Müssen sie dafür sorgen, dass die Technik funktioniert, oder schauen sie nur zu und essen Pizza?
Ohne roten Faden in den Kontrollverlust
Der Raum für eigene Interpretationen ist riesig. Nicht nur die Schauspieler, auch das Publikum muss lernen, mit diesem völligen Kontrollverlust umzugehen, der mit den Erwartungen eines roten Fadens, einer plausiblen Geschichte, bricht. Hier wird man nicht an die Hand genommen und durch eine Erzählung geleitet, die mit einem Anfang beginnt und mit einem Schluss endet.
Das Stück richtet sich an Zuschauer ab zwölf Jahren. Und so wird das Chaos auf der Bühne auch zum Symbol für das Chaos im Kopf, das oft mit dem Erwachsenwerden einhergeht. Denn auch das Leben folgt meist keinem roten Faden. Die Theatererfahrung wird zu einer Art Selbstfindungstrip: Welche Rolle spiele ich in dieser Welt, die ich nicht immer verstehe?
"Ich bin verwirrt. Aber ich weiß nicht, warum ich verwirrt bin, und das irritiert mich", fasst Eyer seine Lage an einer Stelle im Stück treffend zusammen. Zu stören scheint ihn seine Verwirrung aber gleichzeitig wenig. Er und Sauvageot bewegen sich mit einer beeindruckenden Lässigkeit und ohne Angst durch das Chaos. Vielmehr werden sie von einer gewissen Neugier und Aufregung getrieben, sich einfach auf das einzulassen, was als Nächstes kommt. Und das wirkt wie ein herrlich erfrischender Appell, sich auch im wahren Leben einfach mal vom Chaos mitreißen zu lassen.