Ui, nach 20 Minuten sind die beiden größten Hits, die Patti Smith je gesungen hat, schon durch: "Because the Night" und "Frederick". Kann man das machen bei einem Patti-Smith-Liederabend, der auf zwei Stunden angelegt ist? Muss es da nicht eine Binnenspannung der Songs geben, bei der die Hits wohl dosiert eingesetzt werden?
Muss es nicht. Denn "Because the Night" ist im Theater Bremen zwar als "Patti-Smith-Liederabend" überschrieben. Aber Regisseurin Anne Sophie Domenz verschränkt die Geschichte der 1946 geborenen amerikanischen Dichterin, Sängerin und Popkultur-Ikone in einer furiosen Collage mit der Helene Hegemanns (Jahrgang 1992).
Die ist noch keine Ikone, aber eine der eindrucksvollsten Stimmen der jüngeren deutschen Literatinnen-Generation. Und sie hat ein Buch über "Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition" geschrieben, das eine bittersüße Erinnerung an ihre tote Mutter ist. Und das auf inhaltlich-emotionaler Ebene oft mit dem Teil von Patti Smith' Biografie korrespondiert, von dem Domenz erzählt.
Sie halten sich aneinander fest
Es ist 1967, der Sommer der Liebe, und die 21-jährige Patti Smith trifft in New York Robert Mapplethorpe, Fotograf und Künstler. Sie ziehen ins Chelsea-Hotel, Domenz hat ihnen dafür ein ulkig-psychedelisch angehauchtes Hasen-Zimmerchen gebaut. Sie probieren sich und ihre Liebe aus. Sie wollen unabhängig sein - auch von miesen Erinnerungen. Sie halten sich aneinander fest. Sie machen Kunst, kompromisslos.
Jorid Lukaczik spielt, in ihrer ersten Rolle als Ensemblemitglied, eine frisch-freche Patti Smith, natürlich in weißem Hemd und schwarzer Hose. Sie ist verknallt, und außerdem bereit, ohne Rücksichtnahme zu sagen, was sie sagen will. Und zu singen, was sie singen will. Das alles gelingt Jorid Lukazcik mit rotzigem Patti-Smith-Charme, aber sie entwirft ihre eigene Version davon. Anspieltipp: "People have the Power". Levin Hofmann als leicht düster-romantischer Robert Mapplethorpe im Spitzenoberteil passt genau zu ihr. Er ist immer gut für einen wilden Ausbruch, sei es mit einem bis zum Exzess ausgedehnten Luftgitarrensolo oder einer sehr packenden Interpretation von "Hey, Joe".
Die Dritte im Bunde ist Shirin Eissa, der man sowieso immer gerne zuschaut. Sie spielt Helene Hegemann zu Beginn des Abends zunächst gehüllt in eine etwas albern wirkende rosafarbene Ganzkörperperücke. Im zweiten Teil, wenn die Geschichte zwischen Patti Smith und Robert Mapplethorpe erzählt ist, trumpft Eissa auf in einem stimmlich wie körperlich bis zum Extrem getriebenen Monolog über die Einsamkeit und Traurigkeit, mit der Helene bei ihrer psychisch stark labilen Mutter aufwächst. Über die Leere nach deren Tod; wenn sie sich vor ihr befreien muss, und einen Weg findet.
Der Abend findet seine Balance zwischen diesen düsteren Stellen und überbordender, von Ironie durchzogener Lebenslust. Domenz setzt zudem stark auf Körperlichkeit und choreografierte Einschübe, was nicht nur den Songs geschuldet ist. Die werden von einer grandiosen Band gespielt, angeführt von einer der beiden musikalischen Leiterinnen, Romy Camerun, (die andere ist Maartje Teussink) an Keyboard und Stimme sowie Lea Baciulis und Christin Neddens an Gitarre und Schlagzeug.
Die Setlist umfasst nicht nur Songs von Patti Smith, sondern auch diejenigen, die Helene Hegemann etwas bedeuten. Shirin Eissa serviert gekonnt "Smells like Teen Spirit" von Nirvana und "Cloudbousting" von Kate Bush; "Bette Davis Eyes" von Kim Carnes ist zu hören oder "White Rabbit" von Jefferson Airplane. Einziger Wermutstropfen des Abends: Wer nicht gut Englisch kann, dem wird einiges entgehen - es gibt keine Übertitelung, auch nicht bei den Rezitationen von Songtexten und Gedichten. Viel Applaus bei der Premiere am Sonnabend.