Das Publikum im Theater am Goetheplatz blickt in den leeren Bühnenraum, entdeckt sich hinten in einer Spiegelwand wieder. Davor rieselt ein Wasserstrahl von oben, sechs drehbare kleine Spiegel stehen verstreut herum, die Übertitelungstafel zählt sprunghaft vor und zurück. Aus dem Lautsprecher singt es: "Ich tanze nicht, ich kämpfe." Nach einer Weile schält sich aus dem Parkett Schauspielerin Nadine Geyersbach, sie trägt Latex-Pluderhosen in stumpfem Orange, dankt allen, die "angereist" sind, verschränkt riesige grüne Handschuhe ineinander, schiebt ein Drumset auf die Bühne.
Das alles vollzieht sich mit fast provokanter Gelassenheit. Die Besucher kommen zur Ruhe, aber passiert hier noch was? Wenn Geyersbach dann so scheu wie spitzbübisch ihr Giulietta-Masina-Lächeln aufsetzt und verkündet, sie wolle ein Gefühl von Verbundensein schaffen, ahnt man, dass der Abend charmant werden könnte.
Das "Verbundensein", so sein Titel, stützt sich zuallererst auf Texte der 1985 geborenen Londoner Autorin und Rapperin Kae Tempest. Irgendwo taucht immer wieder das schwarze Büchlein auf, aus dem Geyersbach geschmeidig vorliest. In oft langen Aufzählungen und Fragen-Reihungen thematisiert Tempest ihr Künstlerdasein. Eine Lesbe in einem ungeliebten Körper, wirkt sie vor allem über ihre Stimme, tritt für ihren Lebensunterhalt an drei, vier Orten an einem Abend auf und sieht sich existenziell bedroht, als sie wegen einer Stimmbandoperation monatelang nicht auftreten kann. Die Selbstbespiegelung ist zugleich eine Bespiegelung des Publikums, das auf die einsame Seele da vorn reagiert. Regisseur Alexander Giesche unterstreicht diese Wechselwirkung durch beschwingte Aktionen und Bilder, er macht das Theater mit simplen Mitteln zum Spielplatz.
Ja, es passiert dann noch einiges. Geyersbachs Gummihose wird mit Luft aufgepumpt. Die Schauspielerin kippt allerlei Naschwerk in eine Schüssel und reicht sie durch die Reihen. Lässt ein Metronom wandern oder ihr Mikrofon in Flammen aufgehen. Dazu sorgt der 30-jährige Schlagzeug-Virtuose Paul Amereller immer wieder für atmosphärische Klangmomente. Er animiert die Besucher auch zum Mitsingen einer (leider nicht sehr harmonischen) Tonfolge und kann auf seinem Podest sogar in die Höhe schweben. Die kleinen Spiegel ringsumher sind später für ein Strahlen-Netzwerk gut.
Kommentare per SMS
Zwei Momente prägen sich besonders ein. Wie Geyersbach viele Minuten lang an einer kreisenden Scheinwerfer-Traverse über Bühnenabgründe hüpft, ja fliegt. Und wie sie einzelne Zuschauer animiert, auf der Bühne Tausende von Videokassetten in eine Reihe zu stellen, um die Schlange dann wie Dominosteine umkippen zu lassen (Theatermitglieder helfen mit). Der Clou: Während der Aktion kann das Publikum per SMS Kommentare abgeben, die eingeblendet werden: "Snackschüssel bitte in Reihe 7 Platz 24." Auch wenn das meiste vorgefertigt sein dürfte, macht die muntere Interaktion viel Spaß.
Das wäre nach 90 Minuten ein schönes Finale, doch Alexander Giesche macht noch, ohne Pause, eine Stunde weiter, zwei lange, herausfordernde Texte inbegriffen. Da läuft die Aufführung Gefahr, dass das Verbundensein am Ende vor allem Gedränge vor den Toiletten bedeutet. Das Premierenpublikum fand trotz der Überlänge Zeit, beide Akteure und das große Team dahinter für das poetische Spektakel gebührend zu würdigen. Theater als Seelenmassage wie im alten Griechenland – dieser Abend ersetzt eine Sitzung beim Gruppentherapeuten.