Frau Emigholz, das war für uns alle ein turbulentes Jahr, die Kultur gehört aber wohl zu den Bereichen, die Corona am härtesten getroffen hat. Müssen wir uns darauf einstellen, dass Bremens Kulturlandschaft in einigen Monaten nicht mehr so bunt ist, wie sie bisher war?
Carmen Emigholz: Wir werden auf jeden Fall alles dafür tun, um die Kulturlandschaft und ihre Akteure zu schützen. Kultur wird von Menschen gemacht, und wir müssen jeden mit seinem persönlichen Schicksal im Blick haben. Natürlich ist die Sorge um die Kulturschaffenden in Zeiten von Corona groß. Wir haben bereits Programme aufgelegt, die jetzt helfen können, und werden dies auch weiter tun.
Dabei begann das Jahr mit guten Neuigkeiten: Der Kulturetat für 2020/2021 wurde erhöht. Konnten hier alle gemachten Versprechungen eingehalten werden?
Ich denke, wir sind sehr weit gekommen. Wir haben den Grundetat konsumtiv um über fünf Millionen Euro erhöht und für prekär Beschäftigte zusätzliche Mittel aus dem zentralen Fonds des Finanzressorts generiert. Das ist sehr viel Geld, und das wurde auch in der Corona-Krise nicht angetastet, denn die Hilfsmaßnahmen haben wir zusätzlich finanziert. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Forderungen der Kulturszene vor Beginn der Haushaltsberatungen 30 Prozent höher lagen. Dies war schlicht nicht darstellbar.
Muss sich die Branche 2022/23 darauf einstellen, kürzer zu treten?
Wir werden die Kulturakteure bei den Haushaltsberatungen besonders schützen, weil sie aktuell zu den großen Verlierern gehören. Zu glauben, dass die Mittel noch einmal erhöht werden, wäre allerdings – abgesehen von Corona-bedingten Folgemaßnahmen – nicht realistisch.
Wo liegen Corona-bedingt die größten Baustellen?
Das können wir jetzt noch nicht abschätzen. Der Kassensturz kommt am Ende der Pandemie. Dann werden wir sehen, welche langfristigen strukturellen Auswirkungen die Krise auf bestimmte Bereiche hat. Ein Segment, das ganz sicher kritisch ist, ist der Grenzbereich zwischen Kultur- und Wirtschaftsförderung, weil es sich vielfach um selbstständige Unternehmer handelt. Dieses Feld darf nicht im Stich gelassen werden.
In diesen Bereich fallen unter anderem die privaten Theater.
Genau, aber auch die Club- und die professionelle Musikszene, die wirtschaftlich und kommerziell arbeitet. Wir müssen uns genau ansehen, wie wir da helfen können, damit die Akteure nicht durch den Rost fallen.
Neben dem erhöhten Haushalt zum Jahresbeginn gab es weitere positive Entwicklungen: die Erschließung des Tabakquartiers in Woltmershausen und der geplante Umzug der Bremer Philharmoniker in das neue Quartier. Es wurde ein Vertrag über zunächst 17 Jahre abgeschlossen. Warum war das wichtig und notwendig?
Das ist sicher das beste neue Projekt des Jahres. Wir bekommen die große Chance, im Tabakquartier die Freie Szene und die renommierten Bremer Philharmoniker zusammenzubringen. In einem spannenden Konzept und mit modernen Formaten werden wir nicht nur den ganzen Stadtteil nachhaltig kulturell beleben können, sondern auch vielfältige Aktivitäten der Sparten Schauspiel, Tanz, Theater, Musik und bildende Kunst einem breiten Publikum zugänglich machen. Dabei kommen auch neue Medien zum Einsatz.
Erst zum Monatsanfang gab es eine weitere Neuigkeit: Intendant Michael Börgerding bleibt bis 2027 am Theater Bremen. Warum diese frühe Vertragsverlängerung?
Es ist im Umgang mit künstlerischem Spitzenpersonal branchenüblich, Verträge frühzeitig zu schließen, um Planungssicherheit zu gewinnen. Wenn Sie gute Künstler beschäftigen wollen, braucht das einen Vorlauf von zwei Jahren. Ich bin sehr glücklich über die Verlängerung. Michael Börgerding ist ein hochgradig seriöser Intendant, der nicht nur die Kunst im Blick hat, sondern auch die Möglichkeiten, die die Stadt bietet. Wir haben viele junge Talente gewonnen, das Theater wird immer wieder für Auszeichnungen vorgeschlagen und hat gerade erst zwei Preise gewonnen. Wenn Corona nicht gekommen wäre, hätten wir wohl die beste Spielzeit seit langem feiern können.
Feiern kann man dafür vielleicht bald die Eröffnung eines Literaturhauses in Bremen. Dafür ist trotz Corona gerade Geld da?
Der Kostenaufwand aus öffentlicher Hand für das Literaturhaus ist vergleichsweise moderat. Das Haus wird aber dabei helfen, die Literaturszene der Stadt nachhaltig zu stärken.
Auch in Hinblick auf eine Bewerbung Bremens als City of Literature?
Wir haben die notwendigen Mittel dafür bereitgestellt und bereits eine Voranmeldung an die Unesco-Kommission abgegeben. Nach den Weihnachtsferien wird sich unsere Arbeit deutlich intensivieren. Wir werden Netzwerkarbeit leisten, um das Projekt voranzutreiben. Wie genau es weitergeht, liegt auch ein bisschen an Corona.
Die Glocke erhält vom Bund Millionen für einen Umbau. Doch für das Geld aus Berlin muss auch Bremen selbst ordentlich in die eigene Tasche greifen. Setzt Sie das unter Druck?
Ich bin entschieden für eine Attraktivitätssteigerung der Glocke. Für mich ist aber wichtig, dass wir das, was an Überlegungen jetzt vorliegt, ganz genau prüfen. Deshalb bin ich noch etwas zurückhaltend bei der Frage, ob ein weiterer Saal mit 900 bis 1000 Plätzen wirklich die richtige Antwort ist. Bremen musste schon beim Musicaltheater die Erfahrung machen, dass einfach nicht genug Besucherpotenzial da war. Uns darf bei der Glocke nicht das Gleiche passieren. Wir haben in relativer Nähe die Elbphilharmonie sowie Opernhäuser in Hannover, Oldenburg und Bremerhaven. Wenn man also zielführend fördern will, sollte man vielleicht mit dem Bund nochmal über die Schwerpunktsetzung der Maßnahme sprechen.
Breminale, La Strada, die Jazzahead, das Musikfest – alle Bremer Großveranstaltungen sind in diesem Jahr Corona zum Opfer gefallen. Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen für 2021?
Ich hoffe, dass die Lage der Akteure sich spätestens nach dem Sommer deutlich verbessert. Ich wünsche mir, dass den Menschen in dieser tragischen Situation nachhaltig bewusst geworden ist, wie wichtig ein Kulturleben für die Stadt ist. Wir haben in der Corona-Zeit einen massiven Rückhalt erfahren und diesen Rückhalt wünsche ich mir auch für die Zukunft.
Das Gespräch führte Alexandra Knief.
Carmen Emigholz wurde 1962 in Bremen geboren und ist seit 2007 Staatsrätin für Kultur. Sie studierte Rechts- und Politikwissenschaften, arbeitete als Fachreferentin für Erwachsenenbildung und als freie Projektgestalterin.
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In dieser Serie sprechen wir mit Menschen, deren Arbeitsumfeld sich durch das Coronavirus grundlegend verändert hat. Sie erklären, wie sich ihre Behörden, Einrichtungen oder Institutionen auf die neue Situation eingestellt haben, was die Änderungen für den Arbeitsalltag ihrer Kollegen sowie für sie persönlich bedeutet haben und weiterhin bedeuten. Im nächsten Teil erzählt Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), wie anders Regieren im Jahr 2020 gewesen ist.
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