In der französischen Provinz, wo Eddy Bellegueule aufwächst, ist nichts so wichtig wie Männlichkeit. Kräftige, mächtige Männlichkeit, die auch mal draufhaut, wenn sie wütend ist. Die trinkt, pöbelt und Frauen im Fernsehen kommentiert. Die niemals weint, vor nichts Angst hat. Die keine hohe Stimme hat und keine weichen Hände.
Aber Eddy passt nicht in diese Welt. Er ist queer, er ist anders. Und das macht sein Umfeld ihm auch immer wieder klar. Sei es durch verbale oder aber auch körperliche Gewalt. Eddy möchte er selbst sein. Aber er möchte auch Anerkennung – beides scheint sich unmöglich miteinander vereinen zu lassen.
Die Moks-Produktion "Eddy (oder ein anderer)", die aktuell im Brauhauskeller zu sehen ist, richtet sich an Zuschauer ab 14 Jahren und basiert frei auf Motiven des französischen Schriftstellers Édouard Louis. In seinem autofiktionalen Roman "Das Ende von Eddy" beschreibt Louis seine eigene Kindheit und Jugend auf dem Dorf, während er seine Homosexualität entdeckte und Ausgrenzung erfuhr.
Das Innenleben im Fokus
Unter der Regie von Yesim Nela Keim Schaub (Dramaturgie: Johannes Schürmann) rückt das Theater in seiner rund 50 Minuten langen Bühnenfassung Eddys Innenleben in den Fokus. Das falsche Gefühl, das sich in ihm ausbreitet, als er versucht, jemand anderes zu sein. Die Euphorie, als er plötzlich gemocht wird. Seine Zerrissenheit, seine Versuche, so zu handeln, wie es von ihm erwartet wird.
Als er Laura in der Knutschecke auf dem Schulhof küsst zum Beispiel, obwohl es ihm keinen Spaß macht und alle ihm zusehen. Oder als er sich selbst wie ein Mantra immer wieder sagt "Heute bin ich ein echter Kerl". Doch irgendwann versteht Eddy, dass es nichts bringt, sich selbst zu verleugnen. Und dass man, wenn man irgendwo nicht hineinpasst, vielleicht nicht immer nur sich selbst, sondern auch sein Umfeld hinterfragen sollte.
Frederik Gora, Anne Sauvageot und Justus Ritter spielen Eddy (und sein Umfeld) im schlichten, nur aus ein paar schwarzen Felsen bestehenden Bühnenbild (Simone Ballüer), mit all seiner Zerrissenheit. Wie absurd manche Rollenbilder sind, verdeutlichen sie mit musikalischer Untermalung (Ritter) und Autotune.
Überholte Rollenbilder
Wer schreibt eigentlich vor, wie ein echter Kerl zu sein hat? Und warum werden bestehende Rollenbilder, die doch eigentlich längst von gestern sein sollten, in bestimmten Gefügen immer wieder unhinterfragt reproduziert?
Diese und weitere Fragen wirft "Eddy (oder ein anderer)" auf. Es ist eine Geschichte über Scham und Selbstwertgefühl, über soziale Ausgrenzung, Homophobie, Armut und Selbstermächtigung. Das Stück macht klar, dass nicht unbedingt immer richtig sein muss, was dein soziales Umfeld dir als richtig verkauft. Und dass es sich lohnen kann, aus ihm auszubrechen.