In Ehsans Dachzimmer sieht es aus wie immer: Sneaker und Klamotten liegen überall verstreut herum, dazwischen steht ein Teller mit irgendetwas, das irgendwann einmal essbar war. Doch wo ist der Zwölfjährige? Das fragen sich seine Schwester Chalipa (Barbara Krebs) und die Babysitterin Samantha, kurz Sam (Larissa Pfau).
Ehsan ist eigentlich immer in seinem Zimmer. Dort hört und liest er ununterbrochen Nachrichten – außer er geht in die Küche, um sich Spaghetti mit Butter zu kochen. Nun ist er weg und hat einen Zettel hinterlassen: "Ich hab's satt, in einer hoffnungslosen Welt zu leben." Chalipa und Sam beunruhigt das; sie machen sich mit ihren Freunden Salvador (Fabian Eyer) und Noa (Caline Weber) auf die Suche nach Ehsan.
Von dieser Suche, die zum Nachdenken über und zum Finden einer eigenen Haltung angesichts der überall in Dauerschleife präsenten Krisen wird, handelt die erste Premiere der Spielzeit im Jungen Theater des Theaters Bremen, "Und alles" (Tout ca tout ca). Für ihr Stück, das für Menschen ab neun Jahren geeignet ist, wurde die französische Autorin Gwendoline Soublin im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Kindertheaterpreis und dem Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet. Übersetzt hat es Corinna Popp.
Die Moks-Produktion, bei der einmal mehr Theo Fransz Regie geführt hat, punktet durch die fantasievolle, humorvolle Umsetzung der Vorlage; das spielfreudige Ensemble wagt auch mal ein Tänzchen oder eine Kissenschlacht. Die mit wenigen Requisiten (Holzkiste, Schaukel) ausgestattete Bühne von Bettina Weller ist ein Viereck, manchmal ziehen die vier Schauspielerinnen und Schauspieler die durchsichtigen Gazevorhänge zu, die um sie herum gespannt sind. Auf diese Leinwände werden dann Zeitungsausschnitte oder eine trotzig dreinblickende Greta Thunberg projiziert: "We need Action not Hope" – wir brauchen Handlungen, nicht Hoffnung. Vielleicht aber auch beides?
Ehsan scheint sich im Atombunker der Familie im Garten verschanzt zu haben. Da könne er es ziemlich lange aushalten, meint Chalipa, immerhin ist der Bunker mit 15 Kilo Nudeln, sehr vielen Thunfischdosen und noch mehr Tafeln Haselnuss-Schokolade ausgestattet. Der Eingang zum Bunker wird für das Quartett zum Fixpunkt, zum Stellvertreter des abwesenden Bruders und Freundes. Erst wird dieser angebettelt, doch bitte herauszukommen, dann befassen sich die vier damit, warum Ehsan nichts mehr wissen will von der Welt. Das steht in seinem Tagebuch, das akribisch Katastrophen auflistet: Klimawandel, Artensterben, Kriege, korrupte Politiker. Das kann einen fertigmachen, aber: "Ich habe nicht für jede einzelne Sache Traurigkeit übrig", sagt Sam.
Die vier machen sich also daran, ein Gegengewicht zu finden. Positiv gegen negativ, all die Dinge, die den Tag zu einem kleinen persönlichen Fest machen können. Musik, Katzen, die Welttournee von Taylor Swift, Lieblingsmenschen, beispielsweise. Aber auch das Engagement gegen Umweltverschmutzung, denn "die, die mutig sind, verkriechen sich nicht in einem Loch", findet Chalipa. Warum das prophetische Worte sind, soll hier nicht verraten werden.