Es ist kalt im "Glasscherbenviertel", es schneit, acht Menschen drängen sich zu einer Gruppe zusammen, frieren, reden über einen Unfall. Ein Kind ist tot. Der achtjährige Edgar ist überfahren worden, am "helllichten Mittag" eines Augusttags. Darauf können sie sich einigen, auf mehr nicht. Schon das Jahr erinnert jeder anders, und was ist eigentlich passiert, und wäre das zu verhindern gewesen?
Es gibt keine gemeinsame Erinnerung an dieses Ereignis in "Das letzte Feuer" von Dea Loher, das Alize Zandwijk im Kleinen Haus des Theaters Bremen inszeniert hat und das am Donnerstag Premiere feierte. Die Bewohner dieses Viertels verbindet nichts – außer ihrer Verlorenheit. Keiner kommt dem anderen wirklich nah, egal, wie viel geredet wird. Denn: "Verstehen/davon war nie die Rede".
Um was geht es?
Edgars Tod wird zum Katalysator. Jede Figur versucht, die Tragödie auf ihre Weise zu verarbeiten, eigentlich aber zu verdrängen. Da sind die Eltern, Susanne und Ludwig Schraube (Nadine Geyersbach, Martin Baum) und die Großmutter Rosmarie (Irene Kleinschmidt). Ludwig Schraube spielt wie besessen Lotto, wirft aber die Quittungen in den Müll – er will nicht gewinnen, damit bestraft er sich, vielleicht auch für seinen Ehebruch. Susanne Schraube verzweifelt an der Last, womöglich nicht genug auf ihren Sohn aufgepasst zu haben, und daran, dass die demente Rosmarie immer wieder die Wunde aufreißt und nach "dem Edgarchen" fragt.
Der ehemalige Soldat Rabe Meier (Guido Gallmann) ist der einzige, der neu ist im Viertel. Er war Zeuge des Unfalls, was sein Kriegstrauma verstärkt: Er verstümmelt sich. Die Polizistin Edna (Karin Enzler) hat das Kind überfahren, weil sie meinte, einen Terroristen zu verfolgen. Die Suche nach einem Attentäter gerät ihr zur fixen Idee – wie die der brustamputierten Karoline (Annemaaike Bakker) nach immer spektakuläreren Prothesen. Während Olaf (Matti Weber), den Edna verfolgte, sich völlig isoliert, obwohl sein arbeitsloser Freund Peter (Levin Hofmann) ihm doch so gerne helfen würde.
Wie sieht das aus?
Das klingt alles freudlos, und Bühnenbildner Thomas Rupert hat die soziale Kälte des abgehängten, verwahrlosten "Glasscherbenviertels" plakativ als Schneelandschaft mit einigen markanten Requisiten interpretiert. Eine Badewanne, ein Bett, eine Art Bunker, in dem Olaf sich verkriecht, ein kleiner Ofen – sie markieren die Orte, an denen sich die Dialoge und Monologe entspinnen. Das Auftaktbild ist stark: eine Kettenreaktion aus Schneeball, rot-schwarzem Fußball, einer umkippenden Schaufel und zwei Schlitten, die Richtung Publikum schlittern – als Metapher für den Unfall, der alles Weitere ins Rutschen bringt.
Wie ist das inszeniert?
Alize Zandwijk setzt wie immer ganz auf die Präsenz des Ensembles, und "Das letzte Feuer" ist über weite Strecken intensives Schauspielertheater. Dea Lohers Personal besteht dabei nicht aus Charakteren; sie hat quasi Problemlagen zu Figuren gebündelt. Die Sprache ist kunstvoll und wechselt zwischen Dramatik, Epik, poetischen Einschüben, hektischen, manchmal wie abgehackt wirkenden Einwürfen und chorischem Sprechen.
Besonders Nadine Geyersbach und Guido Gallmann verausgaben sich mental wie körperlich: Ihnen ist als Susanne Schraube und Rabe Meier zart aufkeimende Zweisamkeit gegönnt, die dann in Gewalt umschlägt und in eine Katastrophe mündet. Ähnlich wie bei dem Unfall zu Beginn deutet Zandwijk das Ungeheuerliche nur an, lässt inmitten einer eskalierenden Szene kurz anhalten – ein weiterer großer Moment der Inszenierung, ähnlich wie eine ausgelassene Schneeballschlacht, die beinahe wie eine Erlösung wirkt. Aber das kann nur eine Momentaufnahme sein. Zandwijk arbeitet zudem die schwarze Komik des Stücks heraus: Vor allem Annemaaike Bakker als brustamputierte Karoline schwankt gekonnt zwischen dem Schmerz über ihren Verlust (auch der beruflichen Existenz) und Galgenhumor.
Was ist nicht gelungen?
Eine Straffung des Textes, der streckenweise überfrachtet wirkt mit allen Schrecken dieser Welt, hätte der Inszenierung gutgetan. So weisen nicht alle der dicht getakteten Szenen die Dynamik und das Tempo auf, die die Präsentation dieser Leidensgeschichten bräuchte. Die Folge: Die Inszenierung hat deutliche Längen. Der Soundtrack, den Matti Weber zwischen elektronischem Geblubber, Streichermelodien und zarten Liedern angesiedelt hat, ist zudem an einigen Stellen so laut, dass man den Text nur mit Mühe verstehen kann.