Das Aufkommen von Menschen, die vor der Kunsthalle stehen bleiben, um Fotos zu machen, ist in den vergangenen Tagen rapide gestiegen. Denn die Bremer Stadtmusikanten haben Konkurrenz bekommen. Konkurrenz, die die Bronzefigur von Gerhard Marcks am Bremer Rathaus, zumindest was die Größe angeht, um einige Meter übertrifft. Der belgische Künstler Maarten Vanden Eynde beweist mit seiner Skulptur, „Pinpointing Progress“ dass sich nicht nur Tiere mit Alterserscheinungen wunderbar skulptural stapeln lassen, sondern dass sich auch aus in die Jahre gekommener Technik ansehnliche Türme bauen lassen. Assoziationen zu den Stadtmusikanten erweckt die Pyramide dennoch. Auch wenn Esel, Hund, Katze und Hahn nirgendwo zu sehen sind.
Erstmals zu sehen war „Pinpointing Progress“, was übersetzt in etwa aufgezeigter oder festgelegter Fortschritt bedeutet, 2018 bei der Biennale in Bremens Partnerstadt Riga. Ein Großteil der Objekte in Vanden Eyndes Skulptur wurden lange Zeit in Riga hergestellt und von dort exportiert. Für die Anwohner hatte die Skulptur historisch gesehen dort also noch einmal eine ganz andere Bedeutung, als sie nun vielleicht für die Bremer Betrachter haben wird. Auch Züge wurden einst in Riga produziert, erzählt Vanden Eynde. Diese seien für seine Skulptur allerdings etwas zu teuer gewesen.
Der Bezug seiner Arbeit zu den Bremer Stadtmusikanten sei dem Künstler anfangs gar nicht bewusst gewesen, wie er am Donnerstag bei der Präsentation von „Pinpointing Progress“ vor der Kunsthalle verriet. Dabei verbinden die vier Tiere die Städte Riga und Bremen sogar: Denn nicht nur in Bremen gibt es eine Skulptur der Stadtmusikanten, in Riga steht eine weitere, geschaffen von der deutschen Bildhauerin Christa Baumgärtel. Übergeben wurde sie 1990 als Geschenk von Bremen an seine Partnerstadt.
Die Objekte symbolisieren dabei die technische Entwicklung
Doch zurück zu Maarten Vanden Eynde: Der Künstler hat einen türkis-weißen Bus, einen knallgelben Kleinbus, ein blaues Moped, ein Fahrrad, zwei Radios, ein Telefon, eine Kamera und einen Transistor übereinandergestapelt und mit einer riesigen Nadel fixiert, so als seien die Objekte Insekten im Schaukasten eines Naturkundemuseums. „Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der Bewahrung und Präservierung von historischen Objekten“, betont Maarten Vanden Eynde. Die Objekte symbolisieren dabei die technische Entwicklung aus mehr als 60 Jahren, angefangen mit dem ältesten Objekt, dem RAF-251-Bus (etwa 1950er-Jahre) ganz unten, bis hin zum Transistor ganz oben.
Als die Bremer Kunsthalle vergangenes Jahr auf die Skulptur in Riga aufmerksam wurde, war sofort der Wunsch da, sie auch in Bremen zu zeigen, erzählt Manuela Husemann. Sie ist eine von mehreren Kuratorinnen und Kuratoren der Sonderausstellung „Tierischer Aufstand“, die anlässlich des 200. Geburtstags des Märchens um die Bremer Stadtmusikanten ab dem 23. März in der Kunsthalle zu sehen sein wird und gemeinsam mit dem Staatsarchiv entwickelt wurde. Die Ausstellung ist Teil des „Bremer Stadtmusikantensommers“, in dessen Rahmen noch bis Ende September verschiedene Festlichkeiten geplant sind.
Die Skulptur ist Teil der Ausstellung und somit so etwas wie ein kleiner Vorgeschmack darauf. „Es ist schön, dass wir mit der Skulptur bereits jetzt so eine große Außenwirkung haben“, sagt Husemann, während immer wieder neue Passanten auf ihrem Weg innehalten, um das Werk zu betrachten und Bilder zu machen. Das Kunstwerk steht für eine technische Evolution, aber auch für das Thema Vergänglichkeit: „Wie die Tiere im Märchen der Stadtmusikanten sind die Objekte in der Skulptur alle veraltet und unnütz geworden“, zieht Husemann einen Vergleich. „Pinpointing Progress“ wird bis September vor der Kunsthalle verweilen. Genug Zeit also für viele schöne Erinnerungsfotos. Ob es Glück bringt, die Räder oder die Stoßstange des Busses anzufassen, ist allerdings unklar.
Die Sonderausstellung „Tierischer Aufstand“ der Kunsthalle und des Staatsarchivs Bremen ist vom 23. März bis zum 1. September in der Kunsthalle zu sehen.