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Pläne der Vereinten Nationen Mit Zertifikaten gegen die Plastikflut

Durch ein Abkommen soll die Verschmutzung der Umwelt mit Plastik begrenzt werden. Wissenschaftler aus Bremerhaven kritisieren ein Konzept der Vereinten Nationen als Greenwashing und Verschleppung der Probleme.
21.06.2025, 05:25 Uhr
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Von Björn Lohmann

Ob Kamilo Beach auf Hawaii, Jamestown Beach in Ghana oder die Küsten von Java und Bali: Rund um den Erdball werden immer mehr Strände von Plastikmüll bedeckt. Im Gebirge, in der Arktis, in der Luft, im Grundwasser – überall finden sich winzige bis große Kunststoffreste. Selbst im menschlichen Körper lässt sich Mikroplastik nachweisen, meist schon bei Säuglingen.

Plastik ist – bei aller Funktionalität – eine Katastrophe für Umwelt, Klima und Gesundheit. Seit drei Jahren arbeiten die Vereinten Nationen daher an einem rechtsverbindlichen Abkommen, um die Plastikverschmutzung zu verringern. Dabei diskutieren die Fachleute auch über sogenannte Plastic Credits beziehungsweise Plastikzertifikate – ein Konzept, das jetzt aus der Wissenschaft heftigen Gegenwind bekommt.

Die Idee ist nicht neu und ähnelt dem der CO2-Zertifikate: Wer Emissionen kompensiert – etwa indem er einen Wald pflanzt – erhält dafür ein Zertifikat. Dieses Zertifikat verkauft er an jemanden, der CO2 emittiert. Der rechnet es mit seinen Emissionen auf und kann dann behaupten, CO2-neutral zu wirtschaften. Genauso soll es mit Plastik laufen: Organisationen oder Unternehmen können Kunststoffe aus der Umwelt einsammeln oder aus den Restmüllströmen recyceln und erhalten dafür Plastic Credits.

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Ein Credit entspricht dabei einem Kilogramm Plastik. Verifizierungsstellen sollen Missbrauch verhindern. Kunststoffhersteller kaufen die Credits dann über Handelsplattformen und gleichen damit ihren Anteil an der Plastikverschmutzung aus. So weit die Theorie.

Was spricht für, was gegen Plastic Credits?

Durch das Geld aus dem Credit-Handel sollen vor allem in ärmeren Ländern Abfallprojekte entstehen, wo Plastik sonst verbrannt oder ins Meer geworfen würde. Ebenso sollen Anreize entstehen, in diesen Ländern Recycling-Infrastrukturen aufzubauen. Die zuvor wertlosen Abfallströme erhalten dadurch einen Wert und es entstehen neue Einkommensmöglichkeiten für die Menschen vor Ort.

„Unser von Fachleuten begutachteter Artikel zeigt, dass solche Gutschriften kein geeigneter Ansatz sind, um die Plastikverschmutzung zu verringern oder Maßnahmen zur Reduzierung zu finanzieren“, berichtet Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven und Co-Autorin der Studie. Die Biologin ist gemeinsam mit anderen Autoren des Artikels im Fachjournal „One Earth“ Teil der „Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty“. Das internationale Netzwerk unabhängiger Experten unterstützt die Verhandlungen der Vereinten Nationen über das verbindliche Abkommen zur Begrenzung der Plastikverschmutzung.

Die Wissenschaftlerin geht sogar noch weiter: Plastic Credits können Schlupflöcher schaffen und somit Maßnahmen zur Reduzierung von Plastikmengen untergraben. Denn sie ermöglichen ein „Weiter so“ bei der Plastikproduktion, die sich bis 2060 wahrscheinlich verdreifachen wird. Heute schon liegt sie bei weltweit 460 Millionen Tonnen pro Jahr. Die damit verbundenen Treibhausgasemissionen könnten von aktuell 5,3 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen auf 30 Prozent des verbleibenden Budgets bis 2030 ansteigen.

Bislang gibt es keine einheitliche Zertifizierung und Validierung. Ob die Kompensation wirklich stattgefunden hat, ist oft kaum zu überprüfen. Es existieren nicht einmal Standards, wie Plastikemissionen und -einsparungen gemessen werden. Noch stärker ist jedoch der Einwand, dass auf diese Weise Aktivitäten finanziert werden könnten, die ohnehin stattgefunden hätten. Die Menge des eingesammelten Plastiks würde dann durch die Gutschrift nicht größer und die Verschmutzung durch den Käufer nicht wirklich ausgeglichen.

Recycling wird zudem als Kompensation anerkannt, obwohl recycelte Kunststoffe meist nach wenigen Zyklen wieder im Müll landen. Viele Kunststoffreste lassen sich gar nicht dauerhaft aus dem Umlauf entfernen. Das führt zu einer zeitlich verzögerten, aber nicht verhinderten Umweltverschmutzung.

Auch sind gesundheitliche Probleme dokumentiert, weil Arbeiter nicht hinreichend über Risiken informiert und geschützt wurden. Projekte im globalen Süden wurden deshalb schon gestoppt. Die Studienautoren warnen daher vor einen Müllkolonialismus.

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Anders als bei CO2 erscheint es auch nicht angemessen, jedes Kilogramm Plastik gleichzusetzen. Kunststoffe unterscheiden sich stark in Bezug auf Toxizität, Recyclingfähigkeit und sozioökonomische Auswirkungen. Eine Tonne klarer, gut recycelbarer PET-Flaschen ist nicht mit einer Tonne nicht recycelbarer Verpackungen aus mehrschichtigen Materialien und unterschiedlichen chemischen Zusätzen gleichzusetzen. Das berücksichtigt das Credit-System jedoch nicht.

Was wäre eine bessere Lösung?

Statt tatsächliche Lösungen zu fördern, lenken Credits von strukturellen Reformen ab, fördern Greenwashing und können sogar schädliche Anreizsysteme etablieren, heißt es in der Studie. Nicht zuletzt sorgen sich die Wissenschaftler, dass die freiwilligen Plastic Credits regulierte Systeme wie die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) untergraben, weil sie billiger, intransparent und unzuverlässiger sind. Die EPR ist ein umweltpolitisches Konzept, bei dem Hersteller und Inverkehrbringer eines Produkts auch für dessen Entsorgung oder Recycling verantwortlich sind – und zwar nicht freiwillig, sondern verpflichtend. Ein Beispiel ist der Grüne Punkt.

Die Forscher raten zu stabilen und transparenten Finanzierungsinstrumenten, um den Plastikmüll zurückzuholen. Statt Freiwilligkeit sei eine konsequente Regulierung erforderlich. Außerdem sollten die Müllarbeiter, die in Kompensationsprojekten arbeiten, fair eingebunden, geschützt und angemessen entlohnt werden. Besonders wichtig seien verpflichtende Reduktionsziele in der Plastikherstellung – denn am Ende muss es wie beim CO2 darum gehen, jede Emission zu vermeiden, die vermeidbar ist.

Zur Sache

Das UN-Plastikabkommen
Seit 2022 verhandelt die internationale Staatengemeinschaft im Rahmen der UN über ein globales Plastikabkommen. Ziel ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, der die Plastikverschmutzung weltweit eindämmen soll – nicht nur durch bessere Müllentsorgung, sondern durch umfassende Maßnahmen entlang des gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen, von der Herstellung über den Gebrauch bis zur Entsorgung. Strittig ist unter anderem, ob konkrete Reduktionsziele für Plastik festgelegt werden sollen oder ob freiwillige nationale Maßnahmen genügen. Auch die Verantwortung der Kunststoffindustrie und Finanzhilfen für Länder des Globalen Südens sind zentrale Konfliktpunkte. Bis Ende 2025 soll das Abkommen stehen. Es könnte ein Meilenstein in der internationalen Umweltpolitik werden – ähnlich wie das Pariser Klimaabkommen. Die nächste Verhandlungsrunde findet vom 5. bis 14. August 2025 in Genf statt.
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