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Theater Bremen Leichtfüßig und irrwitzig: "Die Erfindung des Jazz im Donbass"

"Die Erfindung des Jazz im Donbass" wurde am Theater Bremern uraufgeführt. Die Geschichte einer bunten Truppe, die sich gegen die Agrar- und Immobilienmafia zur Wehr setzt, wird zum Spiegelbild einer Ära.
25.02.2024, 14:05 Uhr
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Leichtfüßig und irrwitzig:
Von Iris Hetscher

Das Datum der Premiere am Sonnabend war mit Bedacht gewählt: Am 24. Februar 2022 begann Russland seinen Krieg geben die Ukraine. Um daran zu mahnen, wurde das Theater am Goetheplatz blau und gelb angestrahlt. Auch drinnen auf der Bühne dominierten die Nationalfarben der Ukraine bei der Uraufführung von "Die Erfindung des Jazz im Donbass". Den Roman des ukrainischen Autors Serhij Zhadan hat Regisseur Armin Petras zu einer Bühnenfassung umgearbeitet. 

Die Geschichte: Herman kehrt aus Charkiw, wo er als "unabhängiger Experte" lebt, in seine Heimat im Industrierevier Donbass zurück. Sein Bruder Juri ist verschwunden, nun soll Herman die alte Tankstelle übernehmen. Mit im Paket: die beiden Angestellten Kotscha und Schura. In die Buchhalterin Olga verliebt sich Herman sofort. Diese bunte Truppe, zu der sich noch weitere schräge Figuren gesellen, wird allerdings vom "Maiskönig" bedroht, der Teil einer Agrar- und Immobilienmafia ist und die Tankstelle vielleicht kaufen, auf jeden Fall aber haben will. Doch Herman und seine Freunde leisten Widerstand.

Vom Roman zum Theaterstück: Armin Petras hat bereits in der Spielzeit 2022/23 bewiesen, dass er aus einem mehr als 1000-Seiten starken, mit vielen Schauplätzen und einer fast unübersichtlichen Anzahl an Figuren versehenen Roman eine packende Collage drechseln kann: bei "Leben und Sterben", nach dem Buch von Wassilij Grossman. 

Mit Serhij Zhadans knapp 400 Seiten starken Text gelingt ihm das erneut. 2012 ist der Roman erschienen, also vor der Annexion der Krim 2014. Petras verlegt die Geschichte in die Zeit danach, der Krieg ist natürlich der Elefant im Raum (übrigens ursprünglich eine russische Redewendung), ab und an wird auf ihn angespielt. Ansonsten konzentriert sich Petras auf den Hyperrealismus und die Situationskomik des Textes, mit dem Zhadan die Skurrilität und gleichzeitig das Bittere einer ganz bestimmten Ära genau getroffen hat.

Einer Zeit, in der alles und nichts möglich war und Glücksritter ihren Schnitt machten: der wilde Osten des Postsozialismus in den 1990er-Jahren. Die ausufernden surrealistischen Passagen des Romans hat Petras außen vor gelassen; Herman trifft nicht auf eine Riege toter Freunde oder auf einen Trupp von Migranten, der mit seiner Matriarchin westwärts zieht. Das ist großartige Lektüre, aber für nichts für die Bühne. 

Die Inszenierung: Die Strichfassung erlaubt rasche Szenenwechsel und verleiht dem Ganzen die Aura eines märchenhaften Schelmenstücks. Wie immer bei Petras ist sie ein Gesamtkunstwerk. Peta Schickart hat eine Bühne in den Leitfarben blau und gelb entworfen, die von ganz hinten bis ganz vorne an die erste Reihe reicht. Die Orte sind als Fassaden angedeutet, wie bei Potemkinschen Dörfern. Manchmal flitzt ein Motorroller vorbei.

Petras entzündet vor diesem Hintergrund ein theatrales Feuerwerk, das zwischen Groteske, Musical und irrwitzigem Eastern changiert, ergänzt durch Video und Animation (Maria Tomoiaga, Peta Schickart). Atempausen bieten Dialoge über verpasste Chancen, Orientierungslosigkeit oder die Sehnsucht nach den alten Zeiten, als es noch eine Ordnung gab. All das fügt sich zu einem Panorama aus Lebensfreude und Überlebenswillen. Immer wieder wird das Ensemble zur vom famosen Simon Zigah angeleiteten Band, die Musik zwischen Balkanbeat, Gospel, Blues und ukrainischer Volksmusik spielt. 

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Die Schauspieler: Ferdinand Lehmann formt aus dem wachsweichen Hipster Herman einen Erwachsenen, der sich für etwas einsetzen will – warum genau, weiß er allerdings selbst nicht. Ihm zur Seite steht ein durchweg spielfreudig agierendes Ensemble: Fania Sorel als resolute Olga, Alexander Swoboda (Kotscha) und Andreas Leupold (Schura) als knorzige Zapfsäulen-Cowboys oder Timos Papadopoulos als tragisch-verrückter Flugplatzbetreiber Ernst. Das Fantastische des Romans liegt über allen und allem, bei der Erzählerin, die die Geschichte vorantreibt, ist es offenkundig. Lisa Guth spielt die alte, rotzige Schäferhündin Pachmutowa – zum Glück nicht im Tierkostüm, sondern im blauen Nicki-Ganzkörperanzug (Kostüme: Annette Riedel).

Fazit: "Die Erfindung des Jazz im Donbass" ist eine gelungene, leichtfüßige  Romanadaption und vor allem im längeren Teil vor der Pause ein mitreißendes Spektakel. Der zweite Teil verliert etwas an Schwung, weil er düsterer und nachdenklicher grundiert ist. Ein lohnender Theaterabend. 

Info

Die nächsten Termine: 28. Februar, 7. und 9. März, 19.30 Uhr. Dauer: drei Stunden, eine Pause. Mit ukrainischen Übertiteln.

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