Was für ein feiner Coup: Yael Bartana stellt in der Weserburg aus. Die Multimedia-Künstlerin, 1970 in Israel geboren, mit Wohnsitzen in Amsterdam und Berlin, macht derzeit im deutschen Pavillon der Biennale Furore. In einer Videoinstallation schickt sie in dem Nazi-Bau Menschen verschiedener Generationen per Raumschiff ins All, um nach Möglichkeiten für das Überleben in der Zukunft zu suchen. Die gestählten Körper, Tänze und Riten der Reisenden erinnern indes daran, dass die ungute Vergangenheit mitfliegt. "Ich führe verschiedene Realitäten zusammen", bemerkt sie beim Presserundgang.
In der Weserburg – "Utopia Now!" heißt die Ausstellung – erweist sich Yael Bartana ebenfalls als moderne Sibylle, als Seherin, die auf der Basis des Vergangenen (und das ist bei ihr oft die Symbolik des Dritten Reichs) eine Vision des Kommenden entwickelt. "Pre-Enactment" nennt sie ihre Arbeitsweise. Und sie arbeitet mit Wucht, optisch wie akustisch. Das dritte Stockwerk dröhnt schon beim Eintreten. Vier markante Videoarbeiten fesseln die Sinne.
Die älteste von 2010 läuft auf 16-Millimeter-Spulen im hinteren Nebenraum, ein handanimierter Trickfilm in Brauntönen. In Reih und Glied marschieren dort Kriegsversehrte wie aus Bildern von George Grosz und Otto Dix – im Rollstuhl und auf Krücken, ohne Arme, mit Holzbeinen, Eisenklauen und kaputten Köpfen. Aus der Vogelperspektive bilden sie die Inschrift "Entartete Kunst lebt".
Der Schwarz-Weiß-Film "Kunstbewältigung", in dem drei Tänzer mit Tiermasken – Pferd, Esel und Opferlamm – am Wannsee tanzen, erinnert einerseits an die dortige Konferenz von 1941, bei der die Auslöschung der Juden beschlossen wurde, andererseits an den Choreografen Rudolf von Laban, der sich nach fortschrittlichsten Anfängen den Nazis andiente. Nicht nur die Vergangenheit, auch die Zukunft wolle bewältigt werden, so Yael Bartanna.
Das gilt besonders für den in drei Bildflächen geteilten, mit 40 Minuten geradezu epischen Films "Malka Germania" von 2021: Die Künstlerin reitet hier als weiblicher Messias, von Flüchtlingen, Sportlern und Soldaten umkreist, auf einem Esel in Berlin ein. Zwischen Visionen mit Straßenschildern auf Hebräisch spukt noch die Vergangenheit, wenn aus den Fenstern Kunst und Möbel fliegen und Porzellan auf der Straße zerbirst. "Keine Angst", flüstert eine Stimme, dann taucht als sarkastischer Höhepunkt vor entgeisterten Badegästen Albert Speers Modell von Hitlers Traum-Berlin Germania aus dem Wannsee auf. Leni-Riefenstahl-Optik, so faszinierend wie gruselig. Und zum Widerspruch reizend.
Nicht ganz so gedankenschwer präsent ist die deutsche Geschichte in dem Zwölf-Minuten-Film "Brasil" von 2023, der in Bremen seine Welturaufführung erlebt. Yael Bartana hat den Kammerchor der jüdischen Gemeinde in São Paulo und dessen 97-jährige Leiterin mit einem Ensemble afrobrasilianischer Straßenmusiker zusammengebracht, Nachfahren geflohener Sklaven (Maroon). Wie sich in bühnennebliger Theateratmosphäre die würdige alte Dame und die geradezu königlich kostümierten Trommler annähern, das ist fantastisch inszeniert und musikalisch mitreißend kombiniert. Großes Kino mit einer berührenden Zukunftsvision.
Als Ruhezonen in der Schau dienen drei Neon-Installationen der Künstlerin. Hier sägen vier Engelchen an den Armen eines Hakenkreuzes, dort verändert sich das Wort "Crisis" über "Crysis" in "Crycis", aus der Krise über den Schrei zur Frage nach geschlechtlicher Identität. Der Ausstellungstitel steht ebenfalls in leuchtenden Lettern an der Wand, allerdings kippen die Buchstaben von "Utopia Now" gefährlich nach rechts. Museumsdirektorin Janneke de Vries bemerkt dazu passend: "Utopia muss gestützt werden."
Eine umwerfend hintersinnige Ausstellung, für die man sich Zeit nehmen sollte.