Am 8. April wird der erste Teil der diesjährigen Documenta eröffnet - in Athen. Kassel folgt im Juni. Auch in Bremen gibt es Documenta-Kunst zu entdecken, wie eine neue Stadtführung beweist.
Die Documenta verwandelt in diesem Jahr das nordhessische Kassel wieder in eine Künstlerhochburg. Die weltweit größte Ausstellung zeitgenössischer Kunst meldet sich wie üblich für 100 Tage vom 10. Juni bis zum 16. September zurück.
Zum ersten Mal findet ein Teil der Schau zudem in Athen statt: Dort fällt der Documenta-14-Startschuss am kommenden Samstag, 8. April (siehe unten stehenden Artikel). Um Werke international anerkannter Künstler zu sehen, müssen zumindest Bremer nicht weit fahren.
Die Stadtmusikanten, die Reliefbilder am Parlamentsgebäude, Der Turm an der Domsheide oder das Affentor am Brill sind nur einige von 20 Beispielen in Bremen, die von Künstlern stammen, die auf der Documenta ausgestellt haben. Heinrich Lintze und Detlef Stein wollen mit Documenta-Führungen auf diese Tatsache aufmerksam machen – und die Vorfreude auf den Juni steigern.
Documenta von 1992 bleibt im Gedächtnis
Die Documenta ist tief im Leben von Heinrich Lintze und Detlef Stein verwurzelt. Heinrich Lintze ist in der Nähe von Kassel und damit auch mit der Documenta aufgewachsen. Von Beginn an war er von der Anziehungskraft der Ausstellung fasziniert.
„Kassel ist eine Provinzstadt im Dornröschenschlaf, und alle fünf Jahre wird sie von der Documenta wachgeküsst. Mir ist als Kind aufgefallen, dass die Stadt auf einmal voller Menschen war, die andere Sprachen sprechen“, erinnert sich der heutige Lehrer am Alten Gymnasium.
Die Documenta von 1992 wird dabei immer in seinem Gedächtnis bleiben. Zum einen hat er sie zwei monatelang jeden Tag besucht. „Zum anderen hatte es etwas von einem riesengroßen Zirkus. Da waren Kunstwerke, die meine sinnliche Seite besonders erreicht haben“, sagt Lintze.
Eine Ausstellung wie ein Abenteuer
Dieter Detlef Stein wiederum begann nach Beginn seines Kunstgeschichtsstudiums damit, Documenten zu besuchen. „Ich habe seitdem keine ausgelassen und freue mich immer wieder auf die nächste“, sagt der Kunsthistoriker. Für ihn kommt jede Documenta einem Abenteuer gleich, das er mit gleichgesinnten Menschen gemeinsam angeht.
„Man kennt den größten Teil der Künstler nicht und muss sich auf Neues einlassen“, bringt Stein den Reiz auf den Punkt. Seine liebste Documenta? Nun, da muss der Dozent an der Bremer Hochschule nicht lange nachdenken – 2007 ist sein Favorit: „Damals wurde zeitgenössische Kunst im Dialog mit vermeintlich alten Kunstgegenständen gezeigt, was sehr aufregend war. Ich erinnere mich, wie an verschiedenen Standorten in Kassel verblüffende Gegenüberstellungen gezeigt wurden, die sich mir eingebrannt haben.“
Die Idee, die eigene Vorliebe an andere weiterzugeben, sei bei einem Referat von Heinrich Lintze entstanden. Dieses hielt Lintze – selbstverständlich zum Thema Documenta – innerhalb einer Weiterbildung für Bildende Kunst bei Detlef Stein.
Startpunkt sind die Bremer Stadtmusikanten
„Daraufhin haben wir uns überlegt, ob wir aus den Bremer Werken von Documenta-Künstlern nicht eine Führung machen wollen“, berichtet Stein, der freiberuflich für die Bremer Museen arbeitet. Rund eineinhalb Jahre später startet die erste Führung pünktlich im Documenta-Jahr 2017.
Startpunkt sind die Bremer Stadtmusikanten, das erste von 15 Kunstwerken, die in etwa zwei Stunden besucht werden. Gerhard Marcks hat das tierische Quartett realisiert. „Bürgermeister Wilhelm Kaisen hat damals gesagt, dass es doch nicht sein kann, dass die Figuren dem Rathaus den Hintern zeigen. Der Künstler hat dann vorgeschlagen, die Stadtmusikanten umzudrehen.
Daraufhin sagte Kaisen ,auf gar keinen Fall. Das sieht dann ja aus, als wenn sie wie im Märchen in die Räuberhöhle gucken‘ “, fasst Lintze die Historie zusammen. Noch heute sorgt diese Anekdote für Schmunzler bei den beiden Tour-Veranstaltern und sicher auch bei einigen Teilnehmern.
Viele Fleischwölfe
Interessante Geschichten verbergen sich auch hinter den Fenstern der Kirche Unser Lieben Frauen auf dem Marktplatz. Die Buntglasfenster hat der Franzose Alfred Manessier 1960 entworfen. 15 Jahre hat die Fertigstellung der bewusst abstrakten Fenster gedauert.
Das Pfingstfenster in der Mitte wird dabei links und rechts vom Weihnachts- sowie Verkündigungsfenster eingerahmt. Auch die Rosette stammt von Manessier und wurde Maria gewidmet. „Wenn man so will, ist das Pfingstwunder in dieser Kirche Wirklichkeit geworden, denn der der katholische Künstler hat sich gut mit der reformierten Gemeinde verstanden“, erzählt Heinrich Lintze.
Den Dieter-Klink-Platz neben der Bremischen Bürgerschaft ziert seit 2004 der Tröpfler. In dem Bronzeguss hat der Schweizer Künstler Daniel Spoerri eine Vielzahl von Fleischwölfen verewigt und zwei besondere Details eingebaut: Eine Hand und einen Fuß, die in jeweils einen der Fleischwölfe geworfen wurden.
Nicht einfach nur Geplätscher
„Der in Rumänien geborene Künstler hat die Zeit des Krieges miterlebt. Sein Vater wurde von Kollaborateuren ermordet und auch er selber wäre als Kind um haaresbreite getötet worden. In seine Werken integriert Soerri immer wieder Anspielungen, die auf eine ganz brutale Tatsache hindeuten“, erklärt Detlef Stein.
Beispiele wie diese sind es, die deutlich machen, dass sich eine Teilnahme auch für Bremer durchaus lohnt. Denn die Geschichten werden beim flüchtigen Blick auf dem Weg in die Stadt oder zur Bahn gar nicht ersichtlich. „Vielleicht merken die Menschen dann, dass das nicht einfach nur ,Geplätscher‘ ist, sondern brutale Erinnerungen drin stecken“, wünscht sich Heinrich Lintze.
Er bedauert es, dass die Menschen bei der Erledigung ihrer Ziele den Blick für das, was am Wegesrand ist, verlieren. „Gerade diese Dinge möchten wir wieder ins Bewusstsein holen. Viele Werke galten immerhin 15 Jahre lang als entartete Kunst und waren gar nicht zu sehen“, verdeutlicht der Lehrer.
Stadt fördert Künstler
Die Suche nach Kunstwerken soll übrigens alles andere als schwer gewesen sein. „Wir haben eher schon überlegt, ob wir das in zwei Stunden über die Bühne bekommen, weil es im Innenstadtbereich so viele gibt“, verrät Detlef Stein. 20 Werke gebe es in dem Bereich, die Führung konzentriere sich auf 15.
Dass Bremen eine Fülle von Werken anbieten kann, liegt für Heinrich Lintze unter anderem an der Politik: „Die Stadt fördert Künstler mit dem Programm ,Kunst im öffentlichen Raum‘ finanziell.“ An den „Folgen“ dürfen sich ab Mai alle Kunstinteressierten freuen, Anmeldungen werden ab sofort entgegengenommen.