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Bremen im Nationalsozialismus Wie das Übersee-Museum von den Nazis instrumentalisiert wurde

Das Bremer Übersee-Museum hat in der Zeit seines Bestehens viel Stadtgeschichte miterlebt und war selbst davon betroffen. Wir beleuchten, wie das Museum von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde.
22.11.2019, 19:51 Uhr
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Wie das Übersee-Museum von den Nazis instrumentalisiert wurde
Von Iris Hetscher

Am 12. Dezember 1941 vergiftet sich Alba Franzius in der Geffckenstraße in Hamburg-Eppendorf mit Schlaftabletten. Die 62-Jährige ist verzweifelt, wie es in Berichten von Bekannten heißt; die Freunde, bei denen sie die vergangenen Jahre als Untermieterin verbracht hat, sind in ein Konzentrationslager deportiert worden. Der Hausbesitzer droht mit Räumung, und sowieso weiß Alba Franzius, die von den Nazis als „Volljüdin“ klassifiziert worden ist, nicht mehr, wohin. Sie stirbt am fünften Todestag ihres Mannes, allein und verarmt.

Im Übersee-Museum ist ein Rundschild aus Eisen zu sehen, der aus dem 19. Jahrhundert stammt; auf der Infotafel daneben steht „Sammlung Alba Franzius, 1938“. Auch das Papp-Etikett mit Siegel, das Alba Franzius ein Jahr zuvor an dem Schild befestigt hatte, ist noch zu sehen. Das Exponat ist eins von dreien, das Alba Franzius laut dem großen „Eintragsbuch“, in dem das Übersee-Museum alle Neuzugänge dokumentierte, dem Museum schenkte oder als Leihgaben überließ. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Bettina von Briskorn, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provienzforschung am Übersee-Museum, hat sich für die Dauerausstellung „Spurensuche“ eingehend mit dem Schicksal unter anderem von Alba Franzius befasst, die ihre Sammlung dem Museum ursprünglich verkaufen wollte.

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Bereits 1937 geht es der Witwe des Ingenieurs Albrecht Franzius finanziell schlecht, die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ 1938 beendet die Verkaufsverhandlungen schließlich – und das Museum profitiert. Heute versucht Bettina von Briskorn die Nachfahren von Alba Franzius ausfindig zu machen, um den Verbleib der Leihgaben zu klären. Bislang vergeblich.

Das Schicksal von Alba Franzius steht stellvertretend für die jüdischen Leihgeber und Mäzene, die mit der Machtübernahme der Nazis auf einmal nicht mehr gut gelitten sind in der Kulturszene. Als die Hitler-Partei 1933 auch in Bremen an die Macht gelangt, dauert es nicht lange, bis das Übersee-Museum die Auswirkungen zu spüren bekommt.

Professor für Spinnenkunde übernimmt

Der 70-jährige Hugo Schauinsland, der 40 Jahre lang die Geschicke des von ihm gegründeten Hauses geleitet hat, wird durch den Gymnasiallehrer Carl Friedrich Roewer ersetzt, der Mitglied der NSDAP ist. Die neuen Machthaber drängen Schauinsland unsanft, sich pensionieren zu lassen. Roewer hat bereits 1927 gegen den Gründungsdirektor und dessen aus seiner Sicht überholtes Konzept gestänkert. Nun wird der Professor für Arachnologie (Spinnenkunde), der keinerlei Erfahrung im Museumsbereich vorweisen kann, Direktor. Er soll für „Gleichschaltung“ und „nationale Erneuerung“ sorgen.

Inwieweit Roewer diese Grundsätze auch gegenüber Mitarbeitern anwendet und beispielsweise weitere Mitarbeiter aus dem Haus drängt, ist laut Bettina von Briskorn weitgehend unbekannt; die Quellenlage sei zu schlecht, um das zu abschließend beurteilen. Sichtbar dagegen werden Veränderungen nach außen – das Museum wird 1935 in „Deutsches Kolonial- und Überseemuseum“ umbenannt. Auch die Präsentation der Sammlungen ändert sich maßgeblich: Das Haus soll nun offensiv für die Idee werben, dass Deutschland Kolonien benötigt und daran erinnern, was man angeblich nach dem Ersten Weltkrieg alles verloren hat.

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Die bereits vor der Machtübernahme der Nazis geplante anthropologische Ausstellung „Stammesgeschichte und Rassen des Menschen“ wird der nationalsozialistischen Ideologie angepasst, und außerdem stellt man fest: Ostafrika fehlt im Museum. Also schreibt Roewer ein Konzept, der erhöhte Etat des Hauses wird genutzt, um entsprechende Exponate anzukaufen. Es entstehen beispielsweise eine lebensecht nachgebildete Massai-Gruppe und ein Diorama, das mit Tieren des ostafrikanischen Savanne bestückt wird. Als quasi ganz anders gelagerte Kolonie soll das Übersee-Museum den Bremern zudem das Meer schmackhaft machen. Aus diesem Grund wird 1937 die Ausstellung „Deutscher Walfang“ konzipiert, die der Bevölkerung den Ausbau der entsprechenden Flotte und deren wirtschaftliche Bedeutung nahe bringen sollte.

Übersee-Museum erbt Bestand des Lüderitz-Museums

Kurz bevor Deutschland am 1. September 1939 Polen überfällt und damit den Zweiten Weltkrieg provoziert, wird das Übersee-Museum im August geschlossen. Das bedeutet allerdings nicht das Ende des Werbefeldzugs für deutsche Kolonien in Bremen. Ein gutes Jahr später, am 22. September 1940, eröffnet das Lüderitz-Museum an der Martinistraße. Der Bremer Kaufmann, Kaffee HAG-Erfinder und Vater der Böttcherstraße, Ludwig Roselius, treibt das Projekt seit 1935 voran, ein Vor- sowie zwei weitere Räume gehören dazu. Dort präsentiert Roselius, der auch selbst auf Safari fährt, eine „sehr schöne Sammlung aus Deutsch-Ostafrika und Kamerun“, wie er schreibt.

Gewidmet ist das Haus dem Bremer Adolf Lüderitz (1834-1886), der als der Begründer der Kolonie Deutsch-Südwestafrika gilt. Bei der Eröffnung habe Roselius auf Plattdeutsch eine Lobrede auf Adolf Hitler gehalten, erzählt Bettina von Briskorn. 1941 wird im Lüderitz-Museum eine „kolonialwirtschaftliche Forschungsstelle“ angesiedelt, deren Finanzierung sich die Stadt und Roselius teilen. 1943 ist Schluss mit Museum und Forschungsstelle; alle Bestände werden ausgelagert. Ein Jahr später wird das Lüderitz-Haus von einer Bombe getroffen und vollständig zerstört. Die Objekte erbt das Übersee-Museum – zehn Jahre nach Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Diktatur.

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