Bei einigen Exponaten ist alles ganz klar. Das Dinosaurierskelett zum Beispiel, genauer gesagt der Abguss eines Iguanodon-Skeletts, stammt aus dem Musée Royal d'Histoire Naturelle de Belgique in Brüssel und wurde Ende 1911 nach Bremen versandt – nach rund drei Jahren Verhandlung. Alles dokumentiert, alles in Ordnung. Aber das ist nicht bei allen Exponaten im Übersee-Museum der Fall. Wie sind sie einst nach Bremen gekommen? Wurden sie gekauft, geschenkt oder getauscht? Oder hat sich der Sammler einfach bedient und Regeln gebrochen? Diese und weitere Fragen beantwortet das Museum ab sofort in einer neuen Dauerausstellung und dem dazugehörigen Katalog.
Mit „Spurensuche – Geschichte eines Museums“ widmet sich das Haus kritisch seiner eigenen Vergangenheit und veranschaulicht an über 600 ausgewählten Exponaten exemplarisch, welche langen und verschlungenen Wege sich zum Teil in der Biografie der Objekte auf ihrem Weg ins Museum verstecken.
Erzählt wird die Sammlungshistorie chronologisch und anhand einzelner Protagonisten. Beginnend in der Gründungszeit des Museums, in der Hochphase des Kolonialismus Ende des 19. Jahrhunderts, und mit seinem Direktor Hugo Schauinsland. Als Sammler unternahm Schauinsland selbst fünf große Reisen, die ihn unter anderem nach Asien, Ozeanien, Afrika und Australien führten und auf denen er Tausende von Exponaten zusammentrug. Und wie damals leider gängige Praxis, wurde das europäische Wissenschaftsinteresse hierbei häufiger über die (religiösen) Interessen der Menschen aus den Herkunftsländern gestellt.
So hat auch Schauinsland Grenzen überschritten: Während einer Reise auf die Chatham Inseln 1896/97 hat er ohne Erlaubnis Gebeine auf einem Friedhof der Moriori gesammelt. Diese wurden 2017 im Rahmen eines großen Festaktes an die Nachfahren zurückgegeben – eine beeindruckende Zeremonie, die nun in der Ausstellung noch einmal mithilfe von Videomitschnitten veranschaulicht wird. Weitere Schwerpunkte der Ausstellung bilden die Jahre der NS-Zeit, das Sammeln in der Zeit des Wiederaufbaus in den 1950er- und 1960er-Jahren sowie die beiden darauf folgenden Jahrzehnte, in denen durchaus auch politisches Engagement in die Ausstellungen mit einfloss.
Rückkehr der Lieblingsstücke
Auch der Wandel von Präsentationsformen wird in „Spurensuche“ veranschaulicht. Ein Höhepunkt der Dauerausstellung ist ein Raum, in dem teils lange nicht mehr ausgestellte Lieblingsstücke der Besucher gezeigt werden. Viele von ihnen sind im Laufe der Jahre im Depot gelandet, unter anderem, weil sie zu viele Klischees bedienen. Nun werden sie mit Schwerpunkt auf ihrer Geschichte erneut in Szene gesetzt, darunter sind neben dem bereits erwähnten Iguanodon-Skelett ein Kolonialwarenladen und das einstöckige Pfahlhaus („Südseehaus“), dass sich der wissenschaftliche Museumsmitarbeiter Ludwig Cohn 1909 in Toboroi an der Ostküste der Insel Bougainville (heute Papua-Neuguinea) von Einheimischen in museumstauglicher Modellgröße anfertigen ließ. Auf kleinen bereitgelegten Postkarten können die Besucher außerdem vermerken, mit welchen anderen Exponaten oder vergangenen Ausstellungen im Übersee-Museum sie persönliche Erinnerungen verbinden.
Mit der neuen Ausstellung können Museumsbesucher sehr tief in die Sammlungsgeschichte des Übersee-Museums eintauchen. Wer es ganz genau wissen will, sollte Zeit mitbringen, denn es gibt viel zu lesen, zu hören und zu sehen. Oder wie Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt es zusammenfasst: „Geschichte ist komplex und kompliziert. Wir stellen uns ihr trotzdem.“
Neben den originären Ausstellungsinhalten gibt es obendrauf noch eine Multimediastation, an der Museumsmitarbeiter in kleinen Videos konkrete Fragen beantworten. Das können ganz grundlegende Dinge sein, wie „Wie wird eine Ausstellung eingerichtet?“ oder „Warum wird man Präparatorin im Museum?“ bis hin zu Fragestellungen, die einen noch konkreteren Bezug zur „Spurensuche“ haben, zum Beispiel, warum Provenienzforschung manchmal ins Leere führt. Mit Ausstellungsbeginn sollen die Videos auch online abrufbar sein.
Weitere Informationen
„Spurensuche – Geschichte eines Museums“ ist ab Sonnabend, 26. Oktober, im Übersee-Museum, Bahnhofsplatz 13, zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 9 bis 18 Uhr; sonnabends sowie sonntags 10 bis 18 Uhr.
Der WESER-KURIER wird die Ausstellung mit einer Serie begleiten, die die einzelnen Schwerpunkte noch einmal genauer beleuchtet.