Ihre neue Ausstellung heißt „Spurensuche“. Warum muss ein Museum bei sich selbst nach Spuren suchen?
Wiebke Ahrndt: Es ist eine Frage der Verantwortung. Wir haben die Verpflichtung zu schauen, woher unsere Exponate kommen, aus welchen Weltgegenden, von welchen Sammlern, unter welchen Umständen sie hier eingetroffen sind. Wir haben dabei auch gemerkt, dass nicht alle Fragen beantwortet werden können. Es ist alles sehr facettenreich und manchmal auch sehr kompliziert.
Gibt es einen Grund, die Ausstellung 2019 zu eröffnen?
Es ist keine Jubiläumsausstellung, sondern eine neue Dauerausstellung. Mit der Eröffnung der Amerika-Ausstellung 2016 haben wir das Museum thematisch einmal rundum neu aufgestellt. Wir wollen jetzt mit der „Spurensuche“-Ausstellung ein Angebot an die Besucher machen, die sich ähnliche Fragen zum Haus stellen wie wir: Wie sind die Sammlungen eigentlich zustande gekommen?
Die Ausstellung ist chronologisch gegliedert. Warum?
Damit die Besucher sich nicht in der Komplexität verlieren. Aber es ziehen sich auch thematische Schwerpunkte durch die Ausstellung, weil wir alles in einen wissenschaftlichen Kontext einordnen.
Für welchen Teil der Ausstellung haben Sie die meisten Spuren gefunden?
Das meiste stammt ganz klar aus der Ära Schauinsland, des Gründungsdirektors des Übersee-Museums. Das war die Zeit, in der Deutschland Kolonialmacht war, das macht den Großteil der Sammlung aus, von daher macht es auch Sinn, in der Ausstellung einen Schwerpunkt dazu zu setzen. Das ist auch die Ära, die wir bei der Provenienzforschung besonders unter die Lupe nehmen.
Sie behandeln auch die Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 bis 1945. Eine schwierige Rekonstruktionsarbeit?
Die Datenlage war manchmal ein bisschen dünn; es war beispielsweise schwer nachzuvollziehen, wie das Konzept der sogenannten rassenkundlichen Ausstellung war, da gibt es nur wenige Bilder. Trotzdem ist das ein Kernbereich für uns. Es hat uns stark beschäftigt, wie leicht es war, das Museum auf Linie zu bringen: Bremen träumte sich als „Stadt der Kolonien“, und so wurde das Haus in „Deutsches Kolonial- und Übersee-Museum“ umbenannt.
Der Direktor wurde ausgetauscht, Texte wurden verändert, Sammlungen anders präsentiert. Außerdem ging man auf Einkaufstour, weil man auch das sogenannte Deutsch-Ostafrika zeigen wollte. Und mit jüdischen Sammlern wurde anders umgegangen: Aus einer Leihgabe wurde beispielsweise eine Schenkung. Außerdem gab es größenwahnsinnige Pläne aus den 1940er-Jahren, die Fläche des Museums mehr als zu verdoppeln, dem spüren wir auch nach.
In der Ausstellung sind einige Exponate zu sehen, die lange im Fundus verschwunden waren. Wieso?
Weil sie in diesen Kontext gehören. Das Museum prägt Bilder in den Köpfen der Bremer und Bremerinnen, an Besuchen hängen Erinnerungen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Besucher Inszenierungen wie beispielsweise das Aquarium wiederhaben wollen – niemand möchte heute Alligatoren auf engstem Platz im Keller sehen. Trotzdem erinnern sich viele daran. Daher zeigen wir einige dieser Publikumslieblinge, das Skelett eines Dinosauriers oder das Indianerpärchen. Die Klischees, die damit transportiert werden, greifen wir konstruktiv auf.
Das Gespräch führte Iris Hetscher.
Wiebke Ahrndt (56) ist seit 2002 Direktorin des Übersee-Museums. Die gebürtige Braunschweigerin studierte unter anderem in Los Angeles Ethnologie, Alte Geschichte und Frühgeschichte und spezialisierte sich auf Amerikanistik.