David Safier kann gerade nicht reden. Grinsend kommt er an die Haustür, hält sich den Zeigefinger vor den Mund. „Sorry, die filmen noch“, flüstert er. Hinter ihm ein kleiner Flur, dahinter das Esszimmer: hohe Decken, hellgelbe Wände, ein langer Holztisch, darauf eine Etagere mit Lebkuchen, Dominosteinen, Spekulatius. Im Wohnzimmer nebenan interviewt ein Filmteam von Radio Bremen seine Frau Marion. Er selbst, sagt Safier, sei „schon durch“, eine Stunde hat er von seinem neuen Buch erzählt, hat Wasser angeboten („mit oder ohne Sprudel?“) und Kaffee mit Milchschaum serviert.
Safier kennt das alles. Pressetermine, die er gern bei sich zu Hause abhält, für die er den Tisch deckt, als träfe er Freunde. Interviews zu seinen Büchern über wiedergeborene Ameisen und Kühe auf Selbstfindungstrip, die es zuverlässig in die Bestsellerlisten schaffen. Zu seinem Leben, das er als „stinknormal und deshalb einigermaßen langweilig“ bezeichnet. Vor ein paar Wochen hat sein Verlag seinen neuen Roman angekündigt, „eine kleine große Geschichte über zwei Hunde, eine unsterbliche Liebe und die Suche nach dem Glück“. Jetzt, wenige Tage vor dem Erscheinungstermin, hat Safier von morgens bis abends zu tun.
Das Filmteam zieht weiter ins nächste Zimmer, Safiers Frau ist fertig, jetzt ist Max dran, Safiers schwarzer Labradoodle. Ungewöhnlich, wen interessiert schon der Hund, doch dieses Mal ist alles anders. Max ist wichtig, schließlich basiert eine der Hauptfiguren des neuen Buches auf ihm. Das Filmteam richtet sich im Flur ein, Max soll im Körbchen posieren, dann aus dem Bild traben. Ein Scheinwerfer wird aufgebaut, die Kamera positioniert.
Max – groß, treuäugig, Typ Nicht-aus-der-Ruhe-zu-bringender-Familienhund – schaut gleichgültig zu. Ob er ahnt, dass er bald berühmt sein könnte? Eigentlich egal, sagt Safier, „die Starallüren hat er sowieso schon“. Max sei „der ausgeglichenste Hund der Welt“, aber wenn das Essen nicht schnell genug im Napf sei, werde er ungemütlich. Safier – Jeans, dunkelgrauer Wollpullover – winkt rüber ins Esszimmer, während die machen, könne man ja schon mal anfangen. Ob es ein Kaffee sein darf? Mit Milchschaum?
Er verschwindet in Richtung Küche. Zeit, den Blick durch das Haus schweifen zu lassen: Schwachhauser Altbau, Flügeltür, offene Küche, ein großes lila Sofa, in der Ecke eine riesige Spiderman-Figur, seltsam deplatziert wie ein Flipper in der Kirche. „Damals habe ich gesagt: Wenn die Serie vorbei ist, will ich das Ding haben“, erzählt Safier. Er spricht von „Berlin, Berlin“, jener Vorabendserie, für die er von 2001 bis 2005 das Drehbuch schrieb und die mit Preisen überhäuft wurde, sogar einen Emmy abräumte.
„Einen gigantischen Glücksfall“ nennt Safier die Serie. Ihr habe er zu verdanken, dass er heute Romane schreiben dürfe. Dass er Schriftsteller werden wolle, sei ihm schon als Schüler klar gewesen. Aber wo anfangen? Der gebürtige Bremer wählte den Mittelweg zwischen kreativem Risiko und relativer Sicherheit, machte eine Ausbildung bei Radio Bremen, arbeitete als Journalist, schrieb Drehbücher für Fernsehserien wie „Nikola“ oder „Mein Leben und ich“. Doch erst mit „Berlin, Berlin“ gelang ihm der Durchbruch. Überregionale Medien wurden auf ihn aufmerksam, die „Süddeutsche Zeitung“ widmete ihm ein großes Porträt. Irgendwann habe ein Verlagsmitarbeiter angerufen und gefragt, ob er nicht einen Roman schreiben wolle, sagt Safier. „Das will ich schon, seit ich 17 bin“, habe er geantwortet, „schön, dass Sie fragen.“
Safier ist ein guter Erzähler, die Anekdoten reihen sich aneinander, wohlplatzierte Pointen im Plauderton, hier und da eine Prise Selbstironie. Und er ist sympathisch, ein netter Typ. Einer, der nicht wirkt, als würde jedes seiner Bücher zum Verkaufserfolg, nicht nur in Deutschland, auch in Spanien, Italien, Frankreich. Selbst in Südamerika wurden mehrere seiner Titel zu Bestsellern. Verkaufte Gesamtauflage: mehr als fünf Millionen.
Safier erzählt das nicht ohne Stolz, aber ohne jede Prahlerei. Das sei jetzt wirklich nicht als Koketterie gedacht, sagt er, aber er halte sich für einen ganz normalen Typen. Glücklich verheiratet, zwei erwachsene Söhne, Hobbys: joggen, Kino, Freunde treffen. Nach fünf- bis sechsstündigen Schreibschichten im heimatlichen Arbeitszimmer setzt er sich gern vor den Fernseher (sicherheitshalber ohne Schokolade – „wenn sie da ist, ist sie weg“), vor dem Einschlafen liest er noch was, zuletzt Biografien von Stan Lee und Astrid Lindgren.
Das sei vielleicht das Gute am Schriftstellerdasein: dass man so normal bleiben könne, sagt Safier. Dass man die Öffentlichkeit suchen müsse, um in ihr zu stehen. Er selbst habe keinerlei Interesse daran, unnötig auf sich aufmerksam zu machen. Selbst in Bremen erkenne ihn nur selten jemand. Ab und an werde er angesprochen, meistens im Café, in das er manchmal zum Schreiben umziehe, „um mal rauszukommen“. Das sei dann immer sehr nett, die Leute freundlich. Er sei ja durchaus kommunikativ, sagt Safier. Aber eben auch „gern mit mir allein“.
Das Filmteam ist fertig und zieht ab, Max hat brav kooperiert, Safiers Frau entlässt ihn in den Garten. Auch sie muss nun los, kommt kurz dazu und streicht ihrem Mann zum Abschied über den Arm. Sie, seine Frau, sei der Grund dafür, dass er gern fröhliche Geschichten schreibe, hat Safier in mehreren Interviews gesagt. Als sie einander vor 25 Jahren kennenlernten, habe sie nicht über seine Witze lachen können, weil er sich oft über andere lustig gemacht habe. Also sei Schluss mit Schadenfreude gewesen, schließlich habe er ihr gefallen wollen. Heute sagt er: „Sie hat meinen Humor besser gemacht.“
Und nicht nur sein Humor habe sich verändert. Er sei positiver geworden. Er wolle gute Unterhaltung machen, sagt Safier, und meint das im doppeltem Sinne. Handwerklich gut gemacht, gut geplottet, gut zu lesen. Aber auch: gut als Gegenteil von böse. Safier findet: „Die Welt könnte problemlos auch mit ein paar Serienkillern weniger auskommen.“ Er mag keine Antihelden, keinen Zynismus, keine Bücher, „in denen es darum geht, wie blöd die Welt ist“.
Er will Welten schaffen, in die seine Leser gerne reisen. Die lustig sind, aber ernst gemeint. Figuren, die zu Vorbildern taugen. Nicht, weil sie perfekt sind, sondern weil sie Fehler machen, aber lernen wollen. Er überlegt einen langen Moment und sagt dann: „Das klingt jetzt wahrscheinlich ziemlich pathetisch, aber ich glaube, dass eine Gesellschaft auch ein bisschen von den Geschichten geformt wird, die sie sich erzählt.“
Dass das Feuilleton zwar seine Serien gefeiert, seine Bücher aber größtenteils ignoriert hat, sei ihm egal. Das Label Unterhaltungsliteratur, es ist für ihn kein Ausdruck von Geringschätzung, sondern eine Auszeichnung. Das schönste Kompliment, das er je bekommen habe, sei das eines spanischen Buchhändlers gewesen: „Du schreibst die besten Bücher, die man an einem Tag durchlesen kann.“
Er hofft, dass auch sein neuer Roman eines dieser Bücher ist. Auch, wenn es anders ist als seine anderen. Er habe schon seit Langem große Lust darauf gehabt, mal eine dramatischere Geschichte zu erzählen. Ein bisschen Humor sei auch dabei, das schon, aber nur am Rande. „Die Ballade von Max und Amelie“ handelt von einem ungleichen Paar: der Straßenhündin Narbe und dem Haushund – klar – Max.
Ein heißer Sommer in Neapel, Max verirrt sich in Narbes Revier, eine Müllkippe am Rande der Stadt. Reflexartig will sie ihn fortjagen, doch seine sanfte Art, die ihr zunächst als Schwäche erscheint, löst irgendetwas in ihr aus. Sie will ihn auf seinem Heimweg begleiten – um vielleicht selbst Zuflucht zu finden bei diesen Menschen, die immer Narbes Feinde waren, aber von denen Max spricht, als seien sie eigentlich ganz okay.
Es gehe um „Liebe, Verzweiflung, Angst und Fürsorge“, sagt Safier. Und um die großen Fragen: Was ist richtig, was falsch, was wirklich wichtig? Was liebt man? Woran glaubt man? Das Schöne an tierischen Protagonisten sei ja, dass man sie frei von „all unseren Zivilisationskomplexen“ erzählen könne. Keine Handys, keine Neurosen, dafür pure Emotion. Hunde und Sinnfragen, geht das zusammen? Natürlich, sagt David Safier, als würde er die Frage nicht verstehen. Man glaubt ihm sofort.
David Safier: Die Ballade von Max und Amelie. Kindler, Reinbek. 368 Seiten, 18 €.
Schräge Gedankenspiele
David Safier, 1966 in Bremen geboren, mag es, verrückten Ideen Raum zu geben. Wie wäre es, als Insekt wiedergeboren zu werden, weil man als Mensch eher so mittel war? Was würde es bedeuten, sich tatsächlich einen Traummann zeichnen zu können? Oder seinen Körper mit einem anderen Menschen zu teilen? Seine Romane „Mieses Karma“, „Jesus liebt mich“, „Plötzlich Shakespeare“, „Happy Family“, „Muh!“, „Mieses Karma hoch 2“ und „Traumprinz“ erreichten jeweils Millionenauflagen, viele hielten sich wochenlang in den Bestsellerlisten. In zwei seiner neueren Bücher schlägt David Safier ernstere Töne an. In „28 Tage lang“ schildert den jüdischen Widerstand im Warschauer Getto, in „Die Ballade von Max und Amelie“, das an diesem Dienstag erscheint, erzählt die Reise zweier Hunde als berührende Parabel auf die Liebe.
Weitere Informationen
David Safier: Die Ballade von Max und Amelie. Kindler, Reinbek. 368 Seiten, 18 €.
++ Dieser Artikel wurde am 27. November 2018 aktualisiert. David Safiers verkaufte Gesamtauflage beträgt fünf Millionen Exemplare und nicht wie ursprünglich berichtet 50 Millionen. ++