Montagmorgen, kurz vor 9 Uhr: hektische Betriebsamkeit in Saal 21 des Bremer Landgerichts. Tische und Stühle werden verrückt, ein halbes Dutzend Wachleute inspiziert kurz vor Prozessauftakt den Gerichtssaal. Wie im Raum verteilen, um ein Auge auf die Angeklagten zu haben und gleichzeitig alle Türen und Fenster zu sichern? Es sind gleich vier Angeklagte, gegen die prozessiert wird, alle werden in Handschellen aus der Untersuchungshaft vorgeführt. "Gemeinschaftliche Einfuhr von Betäubungsmitteln", lautet die Anklage, es geht um 37 Kilo Kokain. Ein kurioses Detail dieses Falles macht die Runde: Der 29-Jährige, der den Rauschgiftcoup geplant und am Tattag koordiniert haben soll, tat dies, während er in einem Therapie-Zentrum in Göttingen saß. Dort absolvierte er nach einer Verurteilung in einem anderen Verfahren eine Drogentherapie.

Das zweite Verfahren wird vor der Jugendkammer geführt. Einer der vier Angeklagten ist erst 17 Jahre alt.
Ortswechsel, knapp eineinhalb Stunden später in Saal 218 des Landgerichts: Wieder sind es vier Angeklagte, die in Handschellen vorgeführt werden. Sie sind deutlich jünger als das Quartett vom Morgen. Einer von ihnen ist 17, zwei sind 19, einer 22, deshalb wird in diesem Fall vor der Jugendkammer verhandelt. Zwischen den Angeklagten nimmt ein Dolmetscher Platz. Die vier Männer stammen aus den Niederlanden, über Ohrstöpsel werden sie mit dem Übersetzer verkabelt. In diesem Prozess geht es um denselben Drogenschmuggel wie in dem anderen Verfahren. Die jungen Holländer waren von dem 29-Jährigen telefonisch nach Bremerhaven gelotst worden. Sie sollten über den Zaun am Hafen klettern, um das Kokain aus einem Container zu holen.
Komplizen aus Holland
An diesem Morgen äußert sich keiner der acht Angeklagten aus den beiden Verfahren. Doch die Anklageschriften vermitteln ein relativ präzises Bild vom Tatgeschehen. Die vier Angeklagten aus dem ersten Verfahren, auch erst zwischen 22 und 35 Jahre alt, stammen aus Bad Hersfeld in Hessen. Von dort aus machen sich am 3. April dieses Jahres drei von ihnen in zwei Fahrzeugen auf den Weg nach Bremerhaven. Dabei im ständigen telefonischen Austausch mit ihrem Komplizen, der das Ganze vom Göttinger Therapie-Zentrum aus dirigiert.
In Bremerhaven angekommen, werden die Örtlichkeiten ausgekundschaftet, Fotos angefertigt und an die vier jungen Niederländer geschickt, die sich ebenfalls auf den Weg nach Bremerhaven befinden. Gegen fünf Uhr treffen sie dort ein und fahren zu den anderen Angeklagten. Hier bekommen sie eine Einweisung, das notwendige Werkzeug zum Öffnen des Containers und vor allem: ein Smartphone mit einer App, die das Signal des Senders empfängt – ein Airtag, eigentlich gedacht zur Lokalisierung von Koffern während einer Reise, nun angebracht an der Tasche mit dem Kokain.
Danach trennen sich die beiden Gruppen. Die älteren Täter bleiben in ihrem Wagen, einer der jungen Holländer fährt mit seinem Wagen zum Hafen, wo er seine drei Komplizen später mit dem Kokain einsammeln soll. Die wiederum werden an die Stelle im Containerhafen gebracht, wo sie über den Zaun klettern sollen.
Drogen-Coup läuft aus dem Ruder
Tatsächlich melden die bald darauf, dass sie den Container gefunden und das Kokain geborgen haben. Dann aber gerät der Coup komplett aus den Fugen. Auf dem Rückweg zum Zaun laufen die Holländer Mitarbeitern eines Containerumschlagunternehmens in die Arme. Die alarmieren sofort Polizei und Zoll, einer der Täter wird noch im Hafen festgenommen. Bei sich hat er zwei Sporttaschen mit 26 Ein-Kilo-Kokainblöcken. Nicht viel besser ergeht es dem Holländer, der draußen seine Komplizen einsammeln sollte. Der bekommt per Telefon mit, was mit den anderen geschehen ist, versucht zu fliehen, gerät aber in eine Zollkontrolle und wird ebenfalls festgenommen.

Verteidiger Pascal Ackermann im Gespräch mit seinem Mandanten, einem der Angeklagten.
Den anderen Tätern gelingt es zunächst, unerkannt zu verschwinden. Im Fahrzeug einen Rucksack mit den restlichen Päckchen Kokain, statt zehn nur noch neun Kilo, denn eines der Päckchen verliert der Holländer beim Sprung zurück über den Zaun. Wobei er sich außerdem noch schwer am Stacheldraht des Zaunes verletzt. Weit kommen auch diese Flüchtigen nicht. Keine fünf Kilometer weiter werden sie auf dem Sportplatz des TSV Imsum gestellt und festgenommen.
Für beide Gerichtsprozesse sind Verhandlungstage bis in den Dezember hinein terminiert. Gut möglich, dass es aber deutlich schneller geht. Im ersten Prozess lotete das Gericht in Gesprächen hinter verschlossenen Türen die Möglichkeiten für eine sogenannte Verständigung aus – die Angeklagten legen ein Geständnis ab, bekommen dafür im Gegenzug die Zusicherung, dass ihre Strafe innerhalb eines zuvor abgesprochenen Strafrahmens bleibt. Im zweiten Prozess signalisierten alle vier Angeklagten, dass sie sich am nächsten Verhandlungstag zu den Vorwürfen äußern werden, was ebenfalls auf Geständnisse hinauslaufen könnte.