Der offene Brief namhafter Aerosolforscher an die Bundes- und Landesregierungen ist für Lehrkräfte, Schüler und Eltern der Gesamtschule Bremen Mitte (GSM) eine Bestätigung für ihre Offensive zur Selbsthilfe. Denn die Forderung der Wissenschaftler, überall dort, wo sich Menschen länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen, Raumluftreiniger und Filter zu installieren, hat die GSM mit ihrem Projekt „Lüftung leicht gemacht“ längst in Eigeninitiative erfüllt.
Eine Schar fester Helfer von rund zehn Personen hat unter Regie und Mithilfe der Projektleitung von Lehrer Martin Mauritz, Ingenieur Johannes Prescher und Schulassistentin Rona Schneider 20 einfache Lüftungsanlagen selbst gebaut. Dafür sind Kosten zwischen 200 und 300 Euro an Material und etwa 30 Arbeitsstunden pro Anlage angefallen.
Auf die Idee waren sie im Spätherbst vergangenen Jahres gekommen, als die Zahl der Infizierten in der zweiten Coronawelle stark angestiegen war und die Schulschließung drohte. Das Problem der höheren Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus in Klassenräumen ließ Martin Mauritz, Johannes Prescher und Rona Schneider gedanklich nicht mehr los. Im Internet hatte die Schulassistentin eine pragmatische Lösung entdeckt.
Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie haben eine Lüftungsanlage für Klassenzimmer konstruiert, die sich kostengünstig mit Materialien aus dem Baumarkt nachbauen lässt. Ihre Wirkungsweise hatte ein Testlauf in der Integrierten Gesamtschule Mainz-Bretzenheim bestätigt: Die Anlage entfernt laut Fraunhofer Institut 90 Prozent der coronahaltigen Aerosole aus der Raumluft.
Nach dieser Anleitung haben Martin Mauritz und Johannes Prescher, der seit Sommer 2020 eine Windkraft-Werkstatt an der GSM leitet, im vergangenen November in ihrer Freizeit innerhalb einer Woche einen Prototyp nachgebaut. Durch die Ventilatorenkonstruktion wird die Luft über den Tischen durch darüber hängende Plastikschirme angesaugt, erläutert Johannes Prescher das System.
Weil warme Luft nach oben steigt, wird sie durch Zuleitungen ins Hauptrohr geleitet, das die Luft dann durchs Fenster nach draußen transportiert. Ein Ventilator, der in einer im Fensterrahmen befestigten Holzplatte steckt, erzeugt die Sogwirkung. Zwei gekippte Fenster stellen nach Aussage des Ingenieurs den kontinuierlichen Luftaustausch sicher.
„Wir haben den Bauplan auf unsere Bedürfnisse angepasst“, schildert Martin Mauritz. So wurden zum Beispiel die zum Teil vier Meter langen Ausleger an die Tischanordnung angepasst und in größeren Räumen auch mal acht statt sechs Schirme installiert. Außerdem haben die Bremer die Verteilerstücke aus gebogenen Plastikplatten durch kostengünstige Plastikeimer ersetzt, ferner handelsübliche Hochtemperatur-Rohre (HT-Rohre) als Zuleitung zum Hauptrohr verwendet. Während der Lehrer auf den großen durchsichtigen Plastikdrahtgitterkanal unter der Klassenraumdecke zeigt, weist er darauf hin, dass Plastikfolie der Hauptbestandteil der Gesamtkonstruktion ist, die nur 20 Kilogramm wiegt.
Durch den Einbau der Abluftanlagen hat sich die Luftwechselrate in den GSM-Klassenräumen deutlich verbessert. Bei zwei gekippten Fenstern muss ein Klassenraum mit 20 Personen nach 45 Minuten stoßgelüftet werden, bilanziert das Projektteam. Ohne Anlage alle zehn Minuten. Die Luftverbesserung und das damit verringerte Ansteckungsrisiko belegen eigene CO2-Kontrollmessungen.
Mit den 16 Ventilatorenkonstruktionen in der Hemelinger Straße und vier an der Brokstraße ist der derzeitige Bedarf für die beiden GSM-Schulstandorte nach Auskunft von Schulleiterin Frauke Schwagereit gedeckt. „Großartig“, lobt sie die Projektleitung, die Materialeinkauf und -transport sowie Baukohorten organisiert hat, die Lehrkräfte und Eltern, die sich teilweise zu Wochenendworkshops in der Turnhalle getroffen haben, und Schüler.
Ältere Schüler haben im letzten Durchgang beim Bau mitgearbeitet. Und Schüler der Jahrgänge 5 bis 7 haben sich kreativ in das Gemeinschaftsprojekt eingebracht und mit Rona Schneider die weißen Folien der Saugschirme mit einem wasserfesten schwarzen Stift veredelt. „Einige Schüler sitzen nun unter ihrem eigenen Schirm“, erzählt die Schulassistentin, der Nachhaltigkeit wichtig ist.
Darüber hinaus hat die Schule durch einen Spendenaufruf des Fördervereins der GSM 8000 Euro sowie 800 Euro Sachkostenzuschuss der Ingrid und Rolf Möhlenbrock-Stiftung nahezu die gesamten Mittel für die 20 Abluftanlagen selbst aufgetrieben. Erst gegen Ende des Projekts konnten laut Schulleiterin für fünf Anlagen zusätzlich Gelder aus dem Coronatopf beantragt werden, die das Bildungsressort auch bewilligt hat.
Schließlich war der Weg von Prototyp zur Serienfertigung ein sehr steiniger. Als die erste Anlage in einem Klassenraum eingebaut war, Spendenaufrufe für weitere liefen und voller Tatendrang an den nächsten Lüftungsanlagen gebaut wurde, stoppten Immobilien Bremen, die Bildungssenatorin und der Finanzsenator durch ein gemeinsames Schreiben ein solches Projekt an allen Bremer Schulen. Kurzfristig musste sogar der GSM-Raum gesperrt werden.
Erst sollten eigene Nachweise zur Wirksamkeit der Lüftungsanlage erbracht werden, sagt Ingenieur Johannes Prescher rückblickend. Die konnten bei einer Begehung mit der Liegenschaftsverwaltung und Schulaufsicht vorgelegt werden. Dann durften sie unter bestimmten Auflagen doch noch weitere Anlagen bauen. Eine dauerhafte Finanzierung oder Versicherungsfragen, ergänzt Martin Mauritz, konnten gleichwohl nicht abschließend geklärt werden.
Die große Bereitschaft, mitzumachen oder das Projekt finanziell zu unterstützen, ist für Maritin Mauritz auch als Projektarbeitslehrer ein tolles Beispiel dafür, „wie wir als Schulgemeinschaft etwas bewegen“. Und Rona Schneider ergänzt: „Das ist ein schönes Gemeinschaftsgefühl in Zeiten von Corona.“
Ingrid und Rolf Möhlenbrock-Stiftung
2017 haben sich Ingrid und Rolf Möhlenbrock zur Gründung der gleichnamigen Treuhandstiftung unter dem Dach der Bremer Bürgerstiftung entschlossen, weil sie ihrer Geburtsstadt Bremen über die Stiftungsaktivitäten und -zuwendungen etwas zurückgeben und sich fürs Gemeinwohl engagieren möchten. Die Ingrid und Rolf Möhlenbrock-Stiftung fördert vor allem Bildungs- und Schulprojekte. Auch Umwelt und Naturschutz liegt den Bremern aus dem Gete-Viertel am Herzen. Im Einzelfall unterstützen sie auch Menschen in Notlagen. Es stehen für 2021 noch Mittel zur Verteilung bereit, somit können Schulen noch Projektanträge an die Stiftung richten. Per Email an rolf.moehlenbrock@gmx.de oder praxis.bub@gmx.de und per Post an die Adresse der Ingrid und Rolf Möhlenbrock-Stiftung, Colmarer Straße 39, 28211 Bremen.
Weitere Informationen
Eine detaillierte Beschreibung für den Bau einer Abluftanlage zur Reduktion von Aerosolen in Klassenräumen in fünf Schritten mit Videoanleitung haben Johannes Prescher, der dieses Projekt inzwischen auch an der Oberschule Kurt-Schumacher-Allee gestartet hat, und Rona Schneider ins Internet gestellt. Sie ist hier zu finden.