Beim Öffnen der Wohnungstür wirkt die Rentnerin auf Anhieb sympathisch. Die 73-Jährige kommt sehr gepflegt und freundlich daher, und ihre neue, 50 Quadratmeter große Wohnung mit Balkon ist gemütlich eingerichtet, tiptop sauber. Im Inneren der alleinlebenden Seniorin sieht es dagegen oft anders aus. "Ich habe starke gesundheitliche Einschränkungen und Existenzängste, bei der kleinen Rente", sagt sie, um im nächsten Moment mit fester Stimme nachzuschieben: "Trotzdem versuche ich, klarzukommen und den Humor nicht zu verlieren."
Die Gröpelingerin wünscht sich, so lange wie möglich ein eigenständiges Leben in den eigenen vier Wänden führen zu können - wie die meisten alleinlebenden älteren Menschen in Bremen (wir berichteten). Sie erledigt zum Beispiel ihre Wäsche selbst, muss sich aber oft sehr anstrengen, um die Alltagsprobleme im Alter zu bewältigen. "Ich konnte Hilfe nie gut annehmen", sagt sie. "Ich war immer selbstständig und versuche, so gut es geht, alles alleine zu schaffen." Doch ohne Unterstützung käme sie nicht zurecht.
Aufgrund ihrer schweren Erkrankung kann sie sich selbst nicht mehr versorgen, ihre Wohnung allein nicht mehr oft verlassen. "Ohne Einkaufshilfe müsste ich verhungern", sagt die Seniorin, die sich ihre Mahlzeiten selbst zubereitet. Durch das Handicap seien viele Freund- und Bekanntschaften weggebrochen. "Ich bin gern unter Menschen, aber allein im vergangenen Jahr sind drei gute Freundinnen verstorben", erzählt sie. "Das tut weh". Umso dankbarer ist sie für die Freiwilligenhilfe der Aufsuchenden Altenarbeit.
Durch die Vermittlung der Gröpelinger Projektleiterin Liane Köhler bekommt die plietsche, ältere Dame nun regelmäßig Gesellschaft und kann in Begleitung auch den Fuß vor die Tür setzen. Die Gegenwart der Freiwilligen, mit der sie sich angefreundet habe, gebe ihr Sicherheit, sagt sie. "Die gegenseitige Zuwendung tut beiden gut", ergänzt Liane Köhler. Zumal die Pensionärin nur noch sporadisch Kontakt zu ihrer Tochter hat und von familiärer Seite kein Beistand zu erwarten ist.

Liane Köhler, Projektleiterin der Aufsuchenden Altenarbeit in Gröpelingen, hat ein offenes Ohr für die Alltagssorgen und Nöte der 73-Jährigen, die allein lebt.
Ständig ist die alleinlebende Frau in Sorge ums Geld. Ihre Rente liegt deutlich unter den 1074 Euro, nach denen ein Einpersonenhaushalt 2019 als arm eingestuft wurde. Eineinhalb Jahre musste sie - allerdings zur Coronazeit - intensiv nach einer kleineren und für sie bezahlbaren Wohnung im Quartier suchen, als sie nach 19 Jahren aus der vorherigen ausziehen musste. Das Haus, das sie mit einer älteren Dame, die verstorben ist, bewohnt und mit der sie eine vertrauensvolle Freundschaft verbunden hat, wurde saniert und verkauft.
"Da bin ich in ein Loch gefallen, war richtig krank", blickt die 73-Jährige auf die hohe psychische Belastung zurück. Den Verlust ihres gewohnten Zuhauses habe sie erst einmal verkraften. Den Umzug zum 1. Dezember 2020 habe sie dank der Hilfe der engagierten Maklerin bewältigen können, erzählt die Seniorin. Die Eingewöhnung sei ihr nicht leichtgefallen, doch auch da habe sie viel Unterstützung aus ihrem Umfeld erfahren. "Da habe ich alles an Hilfe aufgesogen", berichtet die Gröpelingerin.
Besorgt ist die alte Dame dennoch. "Alles wird teurer, vom Tee bis zu den Nebenkosten." Schon der Gedanke an einen Arzt- oder Bankbesuch am nächsten Tag raube ihr manchmal den Schlaf, so die Gröpelingerin. "Wie komme ich da hin?" Allein kann sie den Weg nicht bewältigen, eine Taxifahrt sprengt ihr Budget. "Alle machen dicht", beklagt sie vor allem die Zweigstellenschließungen der Banken.
Ein Geldbring-Service ist für diesen Personenkreis keine Alternative, weiß Liane Köhler. "Der kostet wieder extra Gebühr." Die zunehmende Zentralisierung ist ihr zufolge für viele arme ältere Menschen eine unüberwindbare Hürde. Ohne familiäre Hilfe hätten sie ein Riesenproblem, gerade in abgelegeneren Quartieren seien sie ohne Auto praktisch abgehängt. "Viele haben gar kein Internet, keinen PC, kein Laptop oder Smartphone, weil sie sich das gar nicht leisten können", thematisiert die Gröpelingerin die zunehmende Digitalisierung.
Die Ansprechpartnerin für Aufsuchende Altenarbeit weist auf eine zweite Hürde für die Onlinepräsenz ihrer Klientel hin: "Die Älteren können damit nicht umgehen." Ohne Zugriff auf Familienangehörige, Freunde oder Bekannte bleiben nur Kurse. Die sind wiederum oft kostenpflichtig. Weitere Knackpunkte: zu kleine Schrift oder Englisch. "Ich will die Sprache gar nicht mehr lernen, ich habe ganz andere Probleme", lautet Traudls ehrlicher Kommentar dazu. Ab einem gewissen Alter falle das Lernen schwerer, sagt sie aus eigener Erfahrung. Dringenden Handlungsbedarf sehen sie und Liane Köhler auch anderswo. Die 73-jährige alte Dame kämpft um die Anerkennung in Pflegegrad zwei. Eine zusätzliche private Putzkraft kann sie aus eigener Tasche nicht zahlen, braucht zudem mehr Unterstützung.
Obschon sich in Gröpelingen viel zum Positiven entwickelt habe, wie beide betonen, müsste die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum noch stärker ausgebaut werden. Die meisten Gehwege sind ihnen zufolge zugeparkt, inzwischen auch viele der neuen abgesenkten Borde. "Und mitten auf dem Weg liegen die Roller", schimpft sie. "Das ist ein richtiges Hindernisrennen."
Mehr Polizeipräsenz wäre auch wichtig, wünscht sich das Duo. Ebenso sollte der öffentliche Raum besser ausgeleuchtet werden. Es fehlten außerdem Sitzbänke und öffentliche Toiletten. Als zunehmendes Ärgernis sehen sie darüber hinaus die zunehmende Vermüllung.
"Ich gehe abends gar nicht mehr raus, ich fühle mich nicht sicher", berichtet die 73-Jährige. Einmal sei sie arg bedrängt worden. Von einem beklemmenden Umfeld, in dem sich ältere Menschen ängstigen, berichten Liane Köhlers Kolleginnen der Aufsuchenden Altenarbeit auch aus anderen Stadtteilen. "In bestimmten Ecken ist es selbst tagsüber gefährlich, 300 Euro am Automaten abzuheben", weiß sie, "weil ältere Menschen genau beobachtet werden." Wer auf Hilfe angewiesen sei, überlasse notgedrungen auch anderen seine Geldkarte, um überhaupt an Bargeld zu kommen, liefert sie als plausible Erklärung für zunehmende Kriminalitätsdelikte in dieser Altersgruppe.