„Darf ich mal fragen, warum Sie ein Gewehr dabeihaben?“ Die Frau, die ihren Berner Sennenhund im Bürgerpark ausführt, darf. „Das ist mein Werkzeug“, erklärt der neue Stadtjägermeister Richard Onesseit. Im Märchen – Großmutter, warum hast du so große Ohren – wäre jetzt alles gesagt. Aber Onesseit nimmt sich Zeit für Erklärungen. „Sie treffen halt auf ihre Mitmenschen, für die es kein alltäglicher Anblick ist, dass jemand mit einer Waffe rumläuft.“ Es komme immer wieder vor, dass frei laufende Hunde Rehe im Park und dem Stadtwald anrissen. Der Jäger erlöst die verletzten Wildtiere.
Einmal pro Jahr passiere das mit den verletzten Rehen. Die Spaziergängerin will das wissen – und sie staunt: In Hamburg, wo sie inzwischen wohne, seien die Hundehalter viel weniger diszipliniert. Das lasse Schlimmes befürchten.
Stadtjägermeister zu sein, ist ein Ehrenamt
Seit elf Jahren ist Richard Onesseit Jäger im Revier Bürgerpark und Stadtwald und seit September Stadtjägermeister. Sein Vorgänger Harro Tempelmann hat das Ehrenamt 24 Jahre ausgeübt. „Man kann ihm nachfolgen, aber ihn nicht ersetzen“, glaubt Onesseit. Seit seiner Jungjägerausbildung vor 15 Jahren kennen sich die Männer. „Erst habe ich mich um Federwild gekümmert, dann um Wildbrethygiene – von vor dem Schuss bis kurz vor der Bratpfanne.“
Tempelmann, der nach wie vor als Prüfer aktiv ist, hatte seinen Nachfolger selbst vorgeschlagen, die Landesjägerschaft hat ihn gewählt und der Unteren Jagdbehörde als Kandidaten präsentiert, die den 58-jährigen Horner schließlich ins Amt berief. Der Stadtjägermeister ist Berater der Behörde und vermittelt zugleich zwischen Amt und Jägern.
„Beständigkeit ist ein ganz wichtiges Thema“, kommt Onesseit auf seine Aufgaben zu sprechen. Dazu gehört das regelmäßige Jagen im Stadtgebiet. Warum das notwendig ist? „Rehwild vermehrt sich innerhalb eines Jahres um 100 Prozent des weiblichen Bestandes“, sagt er. Er erstellt Gutachten zu Wildunfällen, aber auch Expertisen, wo wann gejagt werden kann, und berät Bremerinnen und Bremer.
Fachfragen an Jäger gibt es viele. Richard Onesseit kennt das. Als Stadtjägermeister allerdings hat er erst vor wenigen Tagen sein erstes Beratungsgespräch geführt. Da ging es um einen ungebetenen Hausgast. „Wer jetzt einen Steinmarder auf dem Dachboden hat, hat Pech. Es ist Schonzeit. Da kann man nur noch ein Radio aufstellen. Aber an das urbane Leben gewöhnte Tiere sind schwerer zu beeindrucken als der gemeine Landmarder“, gibt der Jäger zu bedenken. In Zukunft, vermutet er, dürften vor allem Waschbären Anlass für solche Beratungsgespräche geben: „Die werden uns noch enorme Probleme bereiten. Der Waschbär sucht sich kein Loch, er macht sich eines.“
Parasiten im Wildfleisch
Wer es wissen will, erfährt er auch etwas zum Umgang mit Wildfleisch. Des Jägers persönliche Favoriten sind Wildgulasch und kurz gebratene Keule vom Reh oder Damwild. „Am wichtigsten ist, dass das Fleisch nicht austrocknet: also scharf anbraten, im geschlossenen Topf schmoren und vor dem Anschneiden deutlich auf unter Kochtemperatur herunterkühlen“, empfiehlt Onesseit. „Und von wegen rosa Rehrücken: Wildfleisch sollte man gegen mögliche Parasiten immer durchbraten.“
Wenn Richard Onesseit in seinem eigenen 200 Hektar großen Revier mit seiner Deutsch-Drahthaar-Hündin Ylvi unterwegs ist, kümmert er sich vor allem um Rehwild, Hasen und Kaninchen. „Ich gehe nicht als Botschafter der Jägerei in den Park. Meine Zeit ist eigentlich eine Stunde vor Sonnenunter- oder -aufgang. Gespräche sind zwar wichtig, aber sie ergeben sich dann selten.“ Und natürlich verlaufen sie nicht immer so erfreulich wie mit der Gassigängerin. Grundsätzlich würde er sich mehr Rücksicht zwischen Hundehaltern, Joggern, Radfahrern und Spaziergängern im Park wünschen.
Der Landesjägermeister ist eine Autorität, aber auf Deeskalation bedacht. „Jäger sind Weicheier, siehe Schneewittchen“, sagt Richard Onesseit und muss selbst lachen. Manche, mit denen er zu tun habe, hätten ihr Jägerbild offenbar aus dem Film „Bambi“, den jeder kenne und der „voller jagdlicher Fehler“ sei: „Man schießt immer erst das Kalb, dann die Hirschkuh, weil Rotwild mutterlose Kälber ausstößt. Und außerdem: Wer hat Bambi dann gesäugt? Es sah ja ganz wohlgenährt aus.“
"Es kann nach hinten losgehen, mit der Flinte rumzulaufen"
Richard Onesseit leitet damit über auf ein Problem, das ihn besonders beschäftigt. "Es ist wie bei den Landwirten: Wenn sachliche Herangehensweise und Gefühle aufeinandertreffen und alle anderen alles besser wissen, wird es schwierig.“ Er hat da so seine Erfahrungen: „Es kann nach hinten losgehen, mit der Flinte rumzulaufen. Ich bin schon mal bei der Polizei gemeldet worden – als Amokläufer, der mit einem Gewehr hinterm Baum steht.“
Manchmal habe er das Gefühl, "Tierschützer denken, das Leid der Tiere wird durch uns ausgelöst". Seuchen und Krankheiten wie Räude oder Staupe gebe es aber nun mal. "Der Film hört immer auf, wenn der Fuchs in die Freiheit springt. Wir Jäger kriegen den Rest mit“, sagt Richard Onesseit. „Es wäre schon, wenn die Menschen unserer guten Absicht vertrauen würden.“