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rathaus-rundgang Der Fahnenschwenker als letzter Mann an Bord

Die Corona-Pandemie hat es möglich gemacht: einen 360-Grad-Rundgang durch Teile des Alten und Neuen Rathauses. Nicht nur für den Schulunterricht bietet die Website ganz neue Einblicke.
25.09.2021, 15:41 Uhr
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Der Fahnenschwenker als letzter Mann an Bord
Von Frank Hethey

Man muss schon sehr genau hinsehen und auf jeden Fall gute Augen haben, um den einzigen Mann an Bord zu erkennen. In luftiger Höhe schwenkt er unverdrossen die Bremer Speckflagge. Seine Position: das Heck des Modellschiffs "Das Älteste", das von der Decke der Oberen Rathaushalle baumelt. Wer den eifrigen Fahnenschwenker aber mal aus nächster Nähe eines Blickes würdigen will, kann das jetzt ohne weiteres tun – möglich macht das der neue interaktive 360-Grad-Rundgang durch das Rathaus.   

Wer die Website öffnet, fliegt geradezu in eine Puppenhaus-Version des Unesco-Welterbes. Mit ein paar schnellen Klicks kann man nach Belieben das Rathaus erkunden. Oder zumindest jene Teile, die schon digital zugänglich sind: die Obere Halle mitsamt Güldenkammer sowie im Neuen Rathaus die Wandelhalle, den Senatssaal und den Eingangsbereich inklusive Treppe. Alles weitere soll nach und nach hinzukommen – der Dachboden ebenso wie der Keller und die Rolandstatue draußen vor der Tür. "Rathaus und Roland bilden schließlich zusammen das Welterbe", sagt Birgitt Rambalski, Protokollchefin der Senatskanzlei.

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Doch der digitale Rundgang bietet weit mehr als nur überraschende Einblicke. Sandfarbene Punkte – sogenannte Points of Interest – zeigen an, wo Bilder und Erklärungen zu einzelnen Kunstgegenständen zu finden sind. Wie etwa zum vereinsamten Fahnenschwenker, dem letzten Besatzungsmitglied auf dem ältesten der vier gewaltigen Modellschiffe. "Vor 1969 sind noch vier weitere Seeleute belegt, aber sie gingen seither unter nicht genau geklärten Umständen verloren", erfährt man aus dem digitalen Begleittext. Mit anderen Worten: Da haben wohl Kunstbanausen ziemlich lange Finger gemacht und damit die Besatzung dezimiert. 

Von langer Hand geplant war das Gemeinschaftsprojekt von Senatskanzlei, Bildungsbehörde und dem Bremer IT-Dienstleister Dataport nicht. Mitten in der Corona-Zeit sei ihm eine E-Mail von Dataport ins Haus geflattert, berichtet Daniel Tilgner, Referatsleiter für Medienbereitstellung in der Stabsstelle Digitalisierung der Bildungsbehörde. Das Angebot des IT-Dienstleisters, einen digitalen Rundgang zu konzipieren, elektrisierte den 56-Jährigen sofort. "Alles macht zu, wir machen auf – wir öffnen das Rathaus", lautete sein Kampfruf.

Wobei Tilgner als Mitarbeiter der Bildungsbehörde vor allem Kinder und Jugendliche im Auge hatte. "Viele von ihnen waren noch nie im Rathaus", sagt er. Diesen jungen Menschen das ehrwürdige Gebäude digital zu öffnen und damit als "lebendiges Schulbuch" nach Hause zu bringen, erschien ihm als lohnende Aufgabe. Gerade in Zeiten geschlossener Museen und Kultureinrichtungen. "Damit wird auch ein Stück regionaler Identität vermittelt", sagt Tilgner. "Werder Bremen kann absteigen, aber das Rathaus spielt in der Champions League."    

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Unverzüglich machte sich der Historiker ans Werk. Dafür trug er zahlreiche Informationen aus dem Staatsarchiv und einer Datenbank zusammen, die noch der inzwischen verstorbene Peter Hahn von der Landesdenkmalpflege angelegt hatte. Eine wahre Sisyphusarbeit, mit der Tilgner in Corona-Zeiten auch für sich selbst eine sinnvolle Beschäftigung fand. "Es gibt kein Buch, in dem diese Dinge wirklich gebündelt sind", stellte Tilgner zu seiner eigenen Überraschung fest. Weshalb die Rathaus-Rundgänger nun eine kurzweilige Erkundungstour erwartet.        

Das fängt schon bei der elektrischen Wanduhr in der Oberen Wandelhalle an, einem Teil der Erstausstattung für das Neue Rathaus von 1912. Ein hübsches Detail: der nicht etwa rot, sondern blau gekleidete Weihnachtsmann als Symbol für den Winter – einen roten Mantel trägt er erst, seit Coca-Cola ihn in den 1930er-Jahren als Werbefigur entdeckte und mit den Firmenfarben bedachte.  

Gegenüber befinden sich die Bronzebüsten von Theodor Heuss, Friedrich Ebert und Karl Carstens – drei deutsche Staatsoberhäupter, die mehr oder weniger eng mit Bremen verbunden sind. Am einfachsten liegen die Dinge bei Carstens. Der von 1979 bis 1984 amtierende Bundespräsident war gebürtiger Bremer. 

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Unmittelbar einleuchtend auch die Würdigung von Friedrich Ebert. In Bremen stand der spätere Reichspräsident der SPD-Bürgerschaftsfraktion vor, in der Neustadt betrieb er eine Kneipe. Später hieß sie "Zum Reichspräsidenten" – und noch später "Zum 1. Reichspräsidenten", um jede Verwechslung mit dem erzkonservativen Ebert-Nachfolger Paul von Hindenburg auszuschließen. "Das wusste niemand", sagt Tilgner, dieses Detail habe er auf einem Filmausschnitt entdeckt.

Doch wie kommt Theodor Heuss ins Rathaus? Des Rätsels Lösung: Der erste Bundespräsident war gut befreundet mit Bremens Bürgermeister Wilhelm Kaisen. Wenige Tage nach Heuss' Tod im September 1963 beschloss der Senat unter Führung Kaisens, ihn mit einer Büste zu ehren. 

Zu mehr als 40 Objekten hat Tilgner bisher verschieden lange Texte verfasst. Und dabei wird es kaum bleiben. Der Roland sei bereits mithilfe einer Drohne gefilmt worden, sagt Eckardt Kreye, Koordinator der Unesco-Schulen im Land Bremen. Auch die Rathausfassade soll in Kürze in den digitalen Rundgang integriert werden. 

Zur Sache

Der 360-Grad-Rundgang für den Unterricht

Für die praktische Nutzung des neuen 360-Grad-Rundgangs im Unterricht hat Daniel Tilgner von der Stabsstelle Digitalisierung einen kurzen Leitfaden zusammengestellt. In der 4. Klasse steht das Thema "Bremen" im Lehrplan, online könne eine Rathaus-Exkursion optimal vorbereitet werden. Für den Lateinunterricht sind die lateinischen Sinnsprüche in der Oberen Halle eine dankbare Aufgabe. Dank der hochwertigen Fotos empfehlen sich auch zahlreiche historische Kunstwerke für den Unterricht.  

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