Eigentlich war längst entschieden, die Versorgung von Frühchen im Klinikum Nord in den nächsten Jahren teilweise abzuziehen – jetzt gibt es einen neuen Plan: Rot-Grün-Rot will überprüfen, ob die Station so bleiben kann, wie sie ist. So steht es zwar nicht eins zu eins im Koalitionsvertrag, so sagt es aber Thomas Pörschke. Der Grünen-Politiker verweist auf einen Passus, der ihm zufolge genau das ankündigt, auch wenn weder die Station noch das Krankenhaus erwähnt werden. Er geht fest davon aus, dass das Konzept von Gesundheitsbehörde und Klinikverbund korrigiert wird.
Der Satz, auf den sich Pörschke bezieht, fängt in Zeile 4066 des Vertrags zwischen SPD, Grüne und Linke an: Die Parteien wollen sich „für eine wissenschaftliche Bewertung der Frühchenversorgung im Land Bremen“ einsetzen. Der Bürgerschaftsabgeordnete sagt, dass die Passage nur deshalb aufgenommen wurde, weil alle Bündnispartner mittlerweile Bedenken haben, ob tatsächlich für jedes Gebiet der Stadt gleichermaßen gut ist, was bisher geplant wird – ein Zentrum für Frühgeborene im Klinikum Mitte aufzubauen und dafür ihre Versorgung in den Krankenhäusern Links der Weser und Nord komplett beziehungsweise teilweise abzubauen.
Mehr Geburten, weniger Kliniken
Warum die Koalitionäre inzwischen Zweifel haben, kommt laut Pörschke nicht von ungefähr. Er spricht von entscheidenden Prämissen, die sich verändert haben. Von einer steigenden Zahl an Geburten im Stadtgebiet und einer sinkenden Zahl an Kliniken im niedersächsischen Umland. Und davon, dass Bremen ausreichende Kapazitäten in allen Stadtteilen braucht. Im Koalitionsvertrag steht es ähnlich. Dass jetzt auch die SPD die Frühchenversorgung überprüfen will, ist für manche überraschend: Eva Quante-Brandt, ihre bisherige Gesundheitssenatorin, hatte den Plan eines Zentrums am Krankenhaus Mitte wiederholt verteidigt.
Jürgen Bachmann hat's erlebt. Der frühere Kinderarzt und jetzige Mitstreiter einer Protestinitiative versuchte mehrfach, die Behördenchefin davon zu überzeugen, dass ihr Plan nicht aufgeht. Dass die Zahl der Versorgungsplätze, die sie fürs Frühchenzentrum nannte, zu niedrig ist – und die Belastung für Nordbremer Eltern, künftig jeden Tag in die Innenstadt fahren zu müssen, um bei ihrem Kind sein zu können, zu hoch. Und dass es darum besser wäre, alles so zu belassen, wie es ist. Auch deshalb, weil die Kräfte auf der Station nach seinen Worten einen erstklassigen Job machen.
Mal sprach er mit ihr im Regionalausschuss der Beiräte darüber, mal in einem Konferenzraum der Behörde. Aber keinmal, sagt Bachmann, hatte er das Gefühl, seine Argumente könnten irgendetwas ändern. Darum ist er nach eigenem Bekunden jetzt froh, dass das neue Regierungsbündnis die Frühchenfrage neu bewerten will. Der frühere Kinderarzt rechnet sich nicht bloß bessere Chancen aus als bisher, sondern „wesentlich bessere“. Seinen Optimismus begründet er damit, dass mit Claudia Bernhard eine Linke neue Gesundheitssenatorin werden soll – und deren Partei hat die Pläne für die Nordbremer Geburtshilfe schon früh abgelehnt.
Genauso wie manche Grünen-Politiker. Thomas Pörschke zum Beispiel. Er und Bachmann kennen sich. Auch der Bürgerschaftsabgeordnete gehört der Protestinitiative an. Der ehemalige Kinderarzt weiß von ihm, dass Rot-Grün-Rot die Sache mit den Stationen für Frühgeborene anders sieht als Rot-Grün, vor allem kritischer. Jetzt hofft er, dass das neue Regierungsbündnis die Pläne für eine zentralisierte Frühchenversorgung noch stoppen oder zumindest verändern kann. Bachmann sagt, dass bereits viel Geld in den Aufbau eines Zentrums am Klinikum Mitte investiert worden ist. Er spricht von einer Summe in Höhe von 20 Millionen Euro.
Ob die Zahl stimmt, ist unklar. Timo Sczuplinski nennt jedenfalls keine. Der Sprecher des Klinikverbunds Gesundheit Nord sagt, dass es für die städtische Gesellschaft noch zu früh ist, Passagen aus dem Koalitionsvertrag zu bewerten. Aus seiner Sicht ergibt sich daher vorerst kein neuer Sachstand für den Verbund und kein Grund von den bisherigen Plänen abzuweichen, die Versorgung besonders gefährdeter Frühchen im neuen Kinderkrankenhaus in Mitte zu konzentrieren. Der Krankenhausgesellschaft geht es dabei um sogenannte Level-I- und Level-II-Kinder – Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1500 Gramm. Frühchen, die mehr wiegen, sollen weiterhin in Nord behandelt werden.
Nach Sczuplinskis Zeitplan wird das Kinderkrankenhaus voraussichtlich Ende nächsten Jahres fertig und folglich nicht vor 2021 damit begonnen, die Level-II-Versorgung vom Klinikum an der Hammersbecker Straße abzuziehen. Jürgen Bachmann will sich trotzdem beeilen, mit der designierten Gesundheitssenatorin zusammenzukommen. Sobald der Posten offiziell besetzt ist, plant er, Kontakt zur Behörde aufzunehmen. Tempo will der frühere Kinderarzt schon allein deshalb machen, weil viele wissen wollen, was nun werden soll. Bachmann und andere Mitstreiter der Initiative haben Unterschriften für eine Petition gesammelt. Sie kamen nach Angaben der Bürgerschaftskanzlei auf ein besonderes, wenn nicht sogar einmaliges Ergebnis: auf 9577 Namen in vier Wochen.
Mittlerweile sind es mehr. Bachmann sagt, dass die Unterschriftenkampagne längst gestoppt ist, aber immer noch Listen mit Namen bei Mitstreitern der Initiative abgegeben werden. Ihm zufolge ist jetzt die 10 000er-Marke überschritten – und der große Erfolg ein noch größerer.