So richtig ähnlich sieht das Ehepaar Sengstake den beiden Fensterguckern auf dem "Oma und Opa"-Wandbild am Rembertikreisel eigentlich nicht. Noch nicht einmal mit viel gutem Willen lassen sich gleichartige äußere Merkmale feststellen. Und doch werden die ehemaligen Symbolfiguren des Bremer Freimarkts immer wieder mit "Oma und Opa" auf dem Wandbild verwechselt. Man erkennt sie mehr als 30 Jahre nach Ende ihrer Karriere als Imageträger des Freimarkts wieder, ordnet sie aber falsch zu. "Erst neulich hat eine Dame gesagt: Ich kenne euch, ihr seid doch das Ehepaar vom Rembertiring", berichtet Hannelore Sengstake amüsiert. Und gibt auch gleich ihre Antwort wieder: "Ne, sind wir nicht, wir sind die vom Freimarkt."
Längst hat das riesige Wandbild an der Außenmauer der Geschäftsstelle der Arbeiterwohlfahrt (Awo) den Status eines Bremer Wahrzeichens erlangt. Für viele Bremer verknüpfen sich mit dem Monumentalgemälde nostalgische Kindheits- und Heimkehrerinnerungen. Wo "Oma und Opa" aus dem Fenster gucken, da ist Zuhause. "Daheim ankommen, in Bremen, meiner Heimatstadt – das bedeutete dieses Bild für mich", erinnert sich Tatjana Kluge. Als kleines Mädchen habe sie es zum ersten Mal gesehen. "Überdimensional groß, mit den Augen eines Kindes." Eine Wegmarke war das Bild auch für den bekennenden Werder-Fan Janine Stelling. Auf dem Weg zum Weserstadion sei sie stets an "Oma und Opa" vorbeigekommen. "Ich habe den beiden dann auch immer zugewunken", sagt die 48-Jährige.
Erstlingswerk mit Bestand
Nun gibt es allen Grund zum Feiern. Zwar nicht, weil das 189 Quadratmeter große Wandbild des Bremer Künstlers Peter K. F. Krueger vor 50 Jahren vollendet worden wäre – dieser Jubeltag steht erst im kommenden Jahr an. Am 16. Juli, um genau zu sein. Aber vor einem halben Jahrhundert, im September 1975, gewann Krueger den von der Stadt ausgelobten Wettbewerb zur Bemalung der "unschönen Brandmauer", wie es damals im WESER-KURIER hieß. "Fenster waren verboten wegen des Bebauungsplans Mozart-Trasse", sagt einer, der es wissen muss – der Architekt Rainer Schürmann. Die Umgestaltung des Awo-Hauses war sein erster Auftrag, deshalb steht ihm das ganze Rundherum bis heute besonders lebhaft vor Augen. "Oma und Opa haben das Haus jung und die Awo lebendig gehalten", sagt er. "Mehr geht nicht für ein Erstlingswerk."
Als junger Mann war Schürmann 1973 von Berlin nach Bremen gekommen, um bei Carsten Schröck anzufangen, dem auch überregional renommierten Architekten, der das Kaffeehaus am Emmasee und die St. Lukas-Kirche in Grolland mit der auffälligen Seilnetz-Dachkonstruktion entworfen hatte. "Von ihm wollte ich lernen", sagt Schürmann. Doch daraus wurde nichts, weil Schröck im Februar 1973 überraschend mit nur 49 Jahren starb. "Eine schwierige Ausgangs- und Auftragslage für den Start einer verheißungsvollen Architektenkarriere", wie Schürmann nicht ohne Selbstironie sagt. "Nichts mit Backstein und Seilnetz, Akquisition war das Thema." Und so landeten Schürmann und sein Seniorpartner bei der städtischen Baugesellschaft für Sanierung und Umbau, die ihnen schließlich das damals noch besetzte Haus am Rembertikreisel anvertraute. "Wir bekamen den Auftrag, die Besetzer neue Wohnungen im 'Wiener Hof' und später die Awo ein neues Zuhause."
Dass die fensterlose Giebelwand überhaupt bemalt wurde, war dem damaligen Referatsleiter beim Kultursenator zu verdanken, dem vor drei Jahren verstorbenen Hans-Joachim Manske. Der vom Senat als "großer Möglich- und Mutmacher" gewürdigte Kunsthistoriker hatte entscheidenden Anteil an der Kuratierung des Programms "Kunst im öffentlichen Raum". Manske habe Wallpainting in Los Angeles kennengelernt und nach geeigneten Wandflächen gesucht, erinnert sich Schürmann. "Am Kreisel wurde er fündig." Die 18 Meter hohe Hauswand war wie geschaffen für ein großflächiges Wandbild. Kruegers Entwurf war einer von 16 Wettbewerbsbeiträgen.
Die Auswahl sei der Jury nicht schwergefallen, teilte der WESER-KURIER mit. Habe der Künstler die gestellte Aufgabe doch "in geradezu optimaler Weise gelöst". Zwei freundliche ältere Menschen aus einem gemalten Fenster blickend, das sei ein reizvoller und künstlerisch origineller Blickfang. Zugleich nehme das Motiv unaufdringlich Bezug auf die künftige Funktion des Hauses als Awo-Domizil.
Zu einiger Bekanntheit hat es in Bremen und umzu das Ehepaar Johanne und Robert Wagner gebracht, die Krueger mit seinem Wandbild quasi unsterblich machte. Die beiden wohnten unmittelbar neben seinem Atelier an der Alexanderstraße im Viertel. Krueger hat das Ehepaar fotografiert, als es aus dem geöffneten Fenster eines Hinterhauses schaute. "Was nun sagt uns das Rentnerpaar Wagner?", fragt Ingrid Naujok, die viele Jahre gleich hinter dem Rembertikreisel an der Ostendorpstraße lebte. Ihre Antwort auf die selbst gestellte Frage: "Ein erfülltes Leben scheint der zufriedene Gesichtsausdruck mit dem verhaltenen Lächeln der Mona Lisa darzustellen." Frau Wagner wirke wie eine liebevolle Mutter und Großmutter, das Gleiche gelte für ihren Mann. "Der gute Papa und Großpapa, der auf seine Enkel achtgibt. So fühlen wir uns alle als ihre Enkel."
Erst vor zehn Jahren nahm Rudolf Gläser das Wandbild "so richtig" wahr, als er gerade mit seiner Lebensgefährtin eine Wohnung an der Ostendorpstraße besichtigen wollte. "Spontan musste ich bei diesem Bild an meine Oma denken, die fast genau so aussah wie die freundliche alte Dame an der Hauswand." Der Wohnungskauf klappte. "Seitdem sind auch meine geliebte Frau und ich zu einem älteren, freundlichen Paar geworden, das gelegentlich vom Balkon aus in Richtung Awo-Haus blickt."
An diesem Freitag feiert die Awo das Jubiläum des "Oma und Opa"-Wandbildes. Ihr Kommen zugesagt haben der Vize-Präsident der Awo, Erich Kruschel, der Künstler Peter K. F. Krueger, Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz und Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer. Erwartet werden auch die meisten derjenigen, die nach einem Aufruf ihre Assoziationen mit dem Wandbild mitgeteilt haben. Darunter Hannelore und Karl-Heinz Sengstake. "Schon sehr erstaunlich", sagt die 80-Jährige, "dass sich nach so vielen Jahren immer noch so viele Bremer an uns erinnern."