Es ist keine neue Forderung des Bundesarbeitsministers, angesichts der Corona-Krise betont sie Hubertus Heil jedoch besonders: Für Pflegekräfte braucht es – über Einmalzahlungen hinaus – generell höhere Löhne. Und das Mittel zum Zweck sollen allgemeingültige Tarifverträge sein.
Nicht neu ist Heils Forderung deshalb, weil dies eine von zwei Möglichkeiten ist, die das „Gesetz für bessere Löhne in der Pflege“ bereits vorsieht, und das ist schon seit Ende des vergangenen Jahres in Kraft. Die andere Option wäre eine Anhebung des Mindestlohns, der von einer Kommission vorgeschlagen und vom Arbeitsministerium bundeseinheitlich festgelegt würde. Doch für den Arbeitsminister ist ganz klar, welcher Lösung er den Vorzug gibt: „Für spürbare Verbesserungen wäre […] eine Tarifvertragslösung die beste Variante“, heißt es in der Regierungsvorlage.
Auch wenn dieser Tage viel darüber debattiert wird – bewegt hat sich seitdem wenig. Zu viele Partikularinteressen verhindern eine schnelle Lösung. Da wären die Arbeitnehmervertreter, allen voran Verdi. Die haben mit dem neu gegründeten Verband BVAP (Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche) gleich nach Verabschiedung des Gesetzes Verhandlungen zum Abschluss eines Tarifvertrages aufgenommen.
Das wiederum ärgerte den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA), der Verdi sogleich die Eignung als legitimer Verhandlungspartner absprach: „Rund 97 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege sind nicht Mitglied der Verdi. Wie man da ernsthaft behaupten kann, die Gewerkschaft sei in der Altenpflege repräsentativ und wirkmächtig, bleibt nicht nur mir, sondern auch zahlreichen Verfassungsrechtlern ein Rätsel“, beschwerte sich BPA-Präsident Rainer Brüderle.
Und nicht zuletzt wären da noch die kirchlichen Pflegedienste von Caritas bis Diakonie. Ihnen darf der Staat wegen des grundgesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht einfach vorschreiben, wie ihre Angestellten zu bezahlen sind. Vor Abschluss eines Tarifvertrags müssten deshalb „mindestens zwei Kommissionen repräsentativer Religionsgemeinschaften zustimmen, damit die Tarifpartner die Erstreckung des Tarifvertrags beantragen können“, heißt es von Seiten der Bundesregierung.
Hubertus Heil muss sich also in Geduld üben. Er hat den Aufschlag gemacht, der Ball liegt bei den Verhandlungspartnern. Bleibt eine Einigung aus, gibt es ja immer noch den Mindestlohn. Doch ganz so einfach sollte es sich die Politik nicht machen. Angesichts einer alternden Gesellschaft und absehbar massiven Personalmangels, vor allem in der Altenpflege, bleibt wenig Zeit, sich darum zu kümmern, dass die Attraktivität von Pflegeberufen steigt. Dazu braucht es selbstverständlich eine angemessene Bezahlung.
Aber ob die alleine für eine Entspannung der Lage sorgen kann, ist fraglich. Mindestens ebenso wichtig sind die Bedingungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen, aber auch in der mobilen Pflege. Überstunden, Infektionsgefahr, körperliche und psychische Belastung – der Verbesserungsbedarf ist groß. In Zeiten der Corona-Krise, die dem gesamten Gesundheitssystem ohnehin Höchstleistungen abverlangt, gilt das mehr denn je.
Am Ende ist die entscheidende Frage bisher nur unzureichend beantwortet: Wer wird die Kosten tragen? Schon jetzt ist klar, wie teuer steigende Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen werden könnten: mehr als fünf Milliarden Euro jährlich nämlich, heißt es in einer Studie für das Bundesgesundheitsministerium aus dem vergangenen Jahr. Pflege würde also teurer.
Da die Pflegeversicherungen nur einen festgelegten Anteil der Kosten übernehmen, dürfte das vor allem die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen belasten. Es braucht neben dem guten Willen deshalb vor allem ein tragfähiges Konzept zur Finanzierung. Findet die Regierung dafür keine Lösung, sollten die Pflegekräfte ihr zusätzliches Geld besser umsichtig anlegen. Es könnte sein, dass sie es am Ende brauchen, um ihre eigene Pflege zu bezahlen.