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Pflegeheim am Kirchweg Mitarbeiter werfen Betreiber Insolvenzverschleppung vor

Beim Pflegeheim am Kirchweg hätte der Betreiber nach Einschätzung der Mitarbeiter früher reagieren müssen. Dass das Haus monatlich fünfstellige Defizite anhäuft, war dem Diakonieverein von Anfang an bekannt.
08.02.2023, 05:00 Uhr
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Mitarbeiter werfen Betreiber Insolvenzverschleppung vor
Von Timo Thalmann

Die Mitarbeitervertretung (MAV) des insolventen Pflegeheims am Kirchweg prüft derzeit, ob sich der Diakonieverein Berlin-Zehlendorf als Betreiber einer Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat. Der Vorwurf: Als ordentliche Kaufleute hätten die Verantwortlichen bereits vor Oktober 2022 erkennen müssen, dass die Fortführung des Betriebs angesichts eines kontinuierlichen strukturellen Defizits nicht mehr möglich ist. Sollte der Vorwurf zutreffen, wäre die Geschäftsführung des Diakonievereins persönlich haftbar. Das müsste allerdings durch ein Gericht festgestellt werden.

Mögliche Hinweise auf die Verschleppung hat die MAV zunächst einmal an den Insolvenzverwalter übermittelt. Der schwerwiegendste Vorwurf: Der Diakonieverein habe aufgrund unbesetzter Stellen in der Berliner Buchhaltung über Monate keine Bilanzierungen erstellt oder zumindest keine entsprechenden Zahlen zur wirtschaftlichen Lage an die Hausleitung in Bremen übermittelt. Darum sei das Ausmaß der Defizite erst im September klar geworden, hätte aber vorher bemerkt werden müssen. Diese Darstellung wird von Oberin Constanze Schlecht vom Diakonieverein vollständig zurückgewiesen. "Die Buchhaltung wurde ordnungsgemäß geführt. Alle Informationen zur finanziellen Lage waren jederzeit vorhanden."

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Hintergrund der Bemühungen der MAV sind auch verbriefte Ansprüche der Mitarbeiter auf Abfindungen, die sich aus den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Diakonie ergeben. Sie werden bei der Stilllegung eines Betriebs wirksam und ersetzen die in so einem Fall normalerweise geführten Verhandlungen über einen Sozialplan. Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit und Gehalt können dabei bis zu fast 50.000 Euro für einzelne Mitarbeiter fällig werden.  

„Dafür hätte man natürlich Rückstellungen bilden müssen, sobald absehbar war, dass sich der Betrieb nicht aufrechterhalten lässt“, sagt Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon, der die MAV rechtlich berät. Weil das aber nicht passiert ist, würde er gern wissen, aufgrund welcher Prognose und Planrechnung der Diakonieverein offenbar bis kurz vor dem Insolvenzantrag von einem Weiterbetrieb der Einrichtung ausging. Die Frage stelle sich auch vor dem Hintergrund, dass die finanzielle Situation bekannt gewesen sein soll.

Unstrittig ist, dass das Pflegeheim tatsächlich durchgehend ein Defizit verursachte. "Von Anfang an", wie Schlecht betont. Nur die Angaben zur Höhe gehen auseinander. "Uns gegenüber wurde in einer Mitarbeiterversammlung ein monatlicher Fehlbetrag zwischen 50.000 und 60.000 Euro genannt", sagt Michale Hüfker, Vorsitzende der MAV. Schlecht spricht von durchschnittlich 30.000 Euro Unterdeckung pro Monat.

Darüber waren die Berliner vorab informiert, als sie die Einrichtung im April 2021 von der Inneren Mission in Bremen übernommen haben. "Wir haben bei dem Verkauf an den Diakonieverein kein Geheimnis aus der schwierigen Lage gemacht", sagt Hans-Christoph Ketelhut, Vorstandssprecher der Inneren Mission. Thomas Krebs als kaufmännischer Vorstand verweist auf monatliche Controllingberichte, die man ebenso transparent übermittelt habe, wie die Angaben zum Zustand der Immobilie. Als größte Ursache des Defizits gelten zu geringe Pflegesätze, weil Pflegekasse und Sozialbehörde über Jahre die relativ hohen Personalkosten nicht refinanziert hätten. Sie resultierten unter anderem aus dem Versuch, bauliche Probleme des Hauses wie zum Beispiel zu wenig Fahrstühle, durch zusätzliche Mitarbeiter aufzufangen.

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"Die Berliner haben uns immer signalisiert, dass sie trotzdem davon ausgehen, das Haus künftig wieder wirtschaftlich betreiben zu können", sagt Ketelhut. Die Innere Mission war nach eingehender Beratung dagegen zum Ergebnis gekommen, dass sie das nicht schaffe – und hat die Einrichtung auch deswegen 2021 aus dem Verein ausgegliedert und abgegeben. "Zugleich wollten wir natürlich eine Perspektive für die Bewohner und haben uns gefreut, dass der Diakonieverein sich die Sanierung zugetraut hat", sagt Ketelhut. Eine Fehleinschätzung von beiden Seiten.

Schlecht räumt ein, dass das strukturelle Defizit keine Überraschung war. Darum habe man auch von Anfang an Maßnahmen ergriffen, um die Unterdeckung zu beenden. "Wir haben eigene Mittel eingesetzt, um die Fortführung zu ermöglichen. Ab Juni wurde zusätzlich ein auf die Altenhilfe spezialisiertes Beraterteam einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hinzugezogen", sagt die Oberin. Auch Gespräche mit potenziellen anderen Betreibern seien bereits vor der Insolvenz aufgenommen worden, gerade um das Verfahren zu vermeiden. Man habe Pflegekassen und Behörden angeschrieben und um Unterstützung gebeten. "Es war nie unser Ziel, das Haus am Kirchweg zu schließen." Daher habe es auch keine Rückstellungen für Abfindungen der Mitarbeiter gegeben. Bei der Insolvenz hingegen spielt die Absicherung aus den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie nach Einschätzung von Schlecht keine Rolle.

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