Es soll ja Leute geben, die es gut finden, wenn in Wahlkampfzeiten die Stadt voller Plakate der Parteien hängt. Sie glauben, dass dadurch erst viele Bürgerinnen und Bürger merken, dass wichtige Wahlen bevorstehen und dadurch an ihr Wahlrecht erinnert wird. Mag sein, dass da etwas dran ist, aber mir ist der Preis zu hoch. Ich finde die Masse der Plakate, die unsere Stadt über mehrere Wochen verunzieren, mehr als ärgerlich. Ich schätze grob, dass in diesem Jahr etwa 20.000 Plakate unterschiedlicher Größen den Wahlkampf im Land Bremen begleiten.
Sie hängen überall, an Bäumen und Wänden, an Laternen und Schildern. Ganze Straßenzüge sind voll davon. Ich wundere mich, dass es beispielsweise auf der Kurfürstenallee erlaubt ist, die Bäume in der Mitte der beiden Fahrbahnen mit Plakaten voll zu hängen. Das grenzt schon an Verkehrsgefährdung. Die Autofahrer sollen auf die Fahrbahn und die Autos achten und nicht auf die Werbung am Straßenrand. Trotz Geschwindigkeitsbegrenzung kann sowieso keiner die Worte auf den Plakaten vollständig lesen.
Andererseits: Warum auch? Das sind doch keine politischen Botschaften, die da auf den Werbetafeln prangen. Das sind Worthülsen und Sprüche, mal mehr, mal weniger gelungen. Besonders misslungen finde ich den Satz eines Spitzenkandidaten „I have a stream“. Der klingt schon unschön, ist aber schlimmer noch eine ungehörige Verballhornung des geschichtsträchtigen Ausspruches von Martin Luther King: „I have a dream“. So darf man meines Erachtens den Satz, der zum Symbol für den Anspruch der Schwarzen in den USA auf Gleichberechtigung geworden ist, nicht missbrauchen.
Mag sein, dass durch die Vielzahl der Plakate Leute, die keine lokalen Medien lesen, hören oder sehen, auf die Wahl aufmerksam werden. Aber wer politisch so ignorant durchs Leben geht, der dürfte wohl kaum durch diese Art Animation an die Wahlurne gebracht werden. Dafür lohnt diese Geldausgabe nicht. Denn Plakate und das Aufstellen derselben sind teuer. Nicht nur das Papier, auf dem sie gedruckt sind.
Inhalte auf den Plakaten stammen oft nicht von den Kandidaten
Auch unter Umweltschutzgründen ist das bedenklich. In der Regel verdienen Werbeagenturen gutes Geld damit. Sie kreieren die Slogans und Sprüche, sie komponieren die Gestaltung und lassen sich das gut bezahlen. Alles, was die Wähler zu sehen und zu lesen bekommen, stammt häufig nicht von den Kandidaten oder ihren Parteien, sondern von den Werbeprofis. Die Parteien entscheiden lediglich, welche Version oder welches Konzept sie haben wollen.
Wahlwerbung mit Plakaten ist nicht nur teuer, sie ist auch Wahlkampf von gestern. Es gibt heute so viele andere Wege auf sich und seine Programme aufmerksam zu machen. Und die werden glücklicherweise in diesem sehr spannenden Wahlkampf auch beschritten. Neben den altbewährten Strategien wie Veranstaltungen, Straßenwahlkampf und Hausbesuchen ist das Internet ein gern und immer mehr genutztes Wahlkampfinstrument. Welches der sozialen Netzwerke und welche der Internet-Kanäle auch immer eingesetzt werden, sie bieten mehr Möglichkeiten zur Argumentation als jedes Plakat.
Und auch zu mehr Kreativität und Individualität. Gerade das verstärkte Persönlichkeitswahlrecht in Bremen ermuntert die Kandidatinnen und Kandidaten, mit eigenen Internetangeboten auf sich aufmerksam zu machen. Viele haben die Möglichkeiten des Netzes bereits für sich entdeckt und setzen es intensiv ein. Ein in Bremen sehr bekannter Kandidat, beschritt einen ganz anderen, wie ich finde, witzigen und charmanten Weg, auf sich aufmerksam zu machen. Er fuhr auf einem Gefährt durch das Ostertor und trug seine Botschaften mit seinem Banjo singend vor.
Auch ein weiteres Argument zur Verteidigung der Wahlplakate halte ich nicht für stichhaltig: „Mit den Plakaten gewinnen wir keine Wahl, aber ohne verlieren wir sie“. So hält man am Alten fest, ob wohl man weiß, dass es nichts bringt, aber man hat Angst die Konsequenzen zu ziehen. Natürlich ergibt es wenig Sinn, wenn eine einzelne Partei auf Plakatwerbung verzichtet. Aber warum ist es nicht möglich, dass sich zumindest die großen Parteien darauf einigen, auf diese Form in Zukunft zu verzichten?
Willi Lemke (72) schreibt jeden Sonnabend im WESER-KURIER über seine Heimatstadt und was ihn in dieser Woche in Bremen bewegt hat.
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