Wer für zwei Monate eine Expedition ins arktische Meereis plant, muss eine Menge Dinge einpacken: Winterschuhe, Mützen, Handschuhe, Schneeanzüge. Und im Fall der aktuellen "Contrasts"-Expedition des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) auch eine Menge Gummistiefel.
Wissenschaftler des Bremerhavener Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung waren zusammen mit weiteren internationalen Kollegen Anfang Juli im nordnorwegischen Tromsø aufgebrochen zu einer zweimonatigen Fahrt mit dem Forschungsschiff Polarstern. Ziel waren mehrere Eisschollen im arktischen Nordpolarmeer. Dort wollten die Forscher erkunden, wie sich der Klimawandel auf die Eisschmelze im arktischen Sommer auswirkt.
"Uns hat überrascht, wie viele offene Wasserflächen wir vor Ort vorgefunden haben", sagt Marcel Nicolaus, Meereisphysiker am AWI, dem WESER-KURIER bei einem Telefonat direkt vom Forschungsschiff aus, das aktuell auf einer zweiten Expedition nordöstlich von Grönland unterwegs ist. Die Eiskonzentration sei im Juli und August ungewöhnlich niedrig gewesen. "Dadurch konnte die Polarstern häufig mit bis zu fünf Knoten durchs Eis fahren." Das war doppelt so schnell wie eigentlich geplant. Auch sei das Eis mit durchschnittlich eineinhalb Metern ungewöhnlich dünn.
Lange Tage auf dem Eis
"Wir wollten herausfinden, wie das Eis genau schmilzt", erklärt Nicolaus. Es gebe in den arktischen Gewässern sehr altes Eis, aber auch solches, das nur ein Jahr jung sei. Diese seien sehr unterschiedlich beschaffen. Daher wollten die Wissenschaftler an gleich drei Eisschollen unterschiedlichen Alters Untersuchungen vornehmen.
In Arbeitsgruppen von jeweils sechs bis sieben Personen rückten die Wissenschaftler dann vom Forschungsschiff aus auf die verschiedenen Schollen aus: Manche Forscher zogen mit dem Schlitten übers Eis und holten Bohrkerne. Andere bauten Wetterstationen auf der Scholle auf. Manche versenkten Sensoren im Wasser, die Salzgehalt, Temperatur und Strömung aufzeichneten, oder sägten Löcher in die Eisschicht, um darin Tauchroboter zu versenken, die unter Wasser Aufnahmen machten. Jeweils etwa drei Tage arbeiteten sie von früh bis spät, dann zogen sie zur nächsten Scholle. So konnten sie über die Wochen jedes Gebiet mehrmals untersuchen und Veränderungen protokollieren.

Die Unterwasserkameras der Forscher des Alfred-Wegener-Instituts locken neugierige Meeresbewohner an, hier eine Robbe.
"Mit der Zeit wurde das Eis dann immer dünner und brüchiger", sagt Marcel Nicolaus. Das hätten sie erwartet, denn im September ist das Meereis oft auf ein Minimum abgeschmolzen. Das Eis unter den Füßen der Forscher wurde sulziger, statt Winterschuhen kamen die Gummistiefel zum Einsatz. "Am Ende waren zwei der Schollen ganz weggeschmolzen", sagt Nicolaus. Die Geräte, die vor Ort verblieben waren, mussten die Forscher aus dem Wasser ziehen.
Wie der Klimawandel die Arktis verändert
Das Ergebnis der ganzen Mühe sind genaue Daten, die helfen sollen, die komplexen Zusammenhänge der verschiedenen Eisschichten, der Atmosphäre und der Temperatur und Strömung des Wassers besser zu entschlüsseln und so Antworten darauf zu geben, wie sich die wichtige Polarregion im Klimawandel verändern wird.
Ein Ziel der Contrasts-Expedition war es, den sogenannten Albedo-Effekt des Eises zu untersuchen: Je mehr Eis schmilzt und je mehr dunkles Wasser an seine Stelle tritt, desto weniger Wärmestrahlung der Sonne kann die Region reflektieren. Die Folge: Das Eis schmilzt noch schneller, der Effekt verstärkt sich. Tatsächlich entdeckten die Forscher sehr viele Wassertümpel auf dem Eis. Sie erlebten aber auch, wie stark das Wetter vor Ort Einfluss auf die Eisfläche nahm – je nachdem, ob es regnete oder schneite, veränderte sich die Lage vor Ort zum Teil deutlich. "Auch deshalb war es gut, dass wir mehrfach vor Ort sein konnten", sagt Nicolaus.

Die Polarstern auf der Contrasts-Expedition im Herbst 2025 im arktischen Meereis.
Wo sind die Eisalgen geblieben?
Unerwartetes hingegen ergaben die Untersuchungen des Wassers: Das Biologenteam um Alexandra Kraberg vom AWI wollte eigentlich unter anderem Eisalgen untersuchen. Das sind Algen, die im Sommer direkt unter dem Eis wachsen und dort blühen. Sie gelten als wichtiger Bestandteil der Nahrungskette der arktischen Meeresbewohner, insbesondere weil sie im Herbst absinken und in den verschiedenen Meerestiefen ganz unterschiedlichen Spezies als Nahrung dienen. Über sie dringt ein großer Teil des lebenswichtigen Kohlenstoffs in das Ökosystem ein. Allerdings konnten die Forscher bis auf wenige Spuren keine Eisalgen entdecken, an keiner der drei Schollen.
Warum das so ist und welche Auswirkungen das haben könnte, darüber können die Forscher bislang nur spekulieren. Bedeutet das Fehlen der Algen, dass die Nahrungskette in Gefahr ist, das Ökosystem dort kollabiert? "Das wissen wir noch nicht", sagt Marcel Nicolaus. Es könne gut sein, dass sich durch den Klimawandel auch hier Veränderungen ergäben. "Welche Spezies dann die Verlierer und welche die Gewinner sind, müssen wir noch sehen", sagt er. "Aber als Forscher wissen wir auch, dass Ökosysteme oft in der Lage sind, sich zu verändern. Die Natur findet oft eine Lösung", sagt er.