Der Neubau eines deutschen Arktis-Forschungsschiffs wird voraussichtlich im kommenden Frühjahr ausgeschrieben und bis 2026 abgeschlossen sein. Diesen Zeitplan verfolgt das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI), das Ersatz benötigt für seinen 38 Jahre alten Forschungseisbrecher „Polarstern“.
Das Projekt steht unter Zeitdruck. Im Februar hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine laufende Ausschreibung für einen Neubau abgebrochen, weil die Ergebnisse nicht den „gegenwärtigen Anforderungen an eine langfristige, leistungsfähige und wirtschaftliche Investition in notwendige Infrastruktur“ genügten. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits sechs Jahre Planungsvorlauf ins Land gegangen. Bis spätestens 2027 braucht das AWI aber einen Nachfolgebau für die „Polarstern“. Über dieses Datum hinaus wird sich die Betriebserlaubnis für den Arktis-Veteranen kaum verlängern lassen, zumal die Instandhaltungskosten für das Schiff in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen sind.
Für die jetzt geplante erneute Ausschreibung zeichnet nicht mehr der Bund, sondern das Alfred-Wegener-Institut verantwortlich, wenn auch in enger Abstimmung mit Berlin, wie AWI-Verwaltungschef Karsten Wurr im Gespräch mit dem WESER-KURIER hervorhebt. Anders als in der ersten, abgebrochenen Runde sollen den interessierten Werften nicht mehr so detaillierte Vorgaben gemacht werden. „Damals existierte bereits ein Designentwurf für das Schiff“, sagt Wurr.
„Diesmal wird es lediglich eine funktionale Leistungsbeschreibung geben. Das heißt: Wir sagen, was das Schiff können muss, und dann ist es an den Werften zu sagen, wie das realisiert werden kann.“ Zu den Anforderungen gehört etwa, dass an Deck bei Temperaturen bis minus 50 Grad gearbeitet werden kann. Weitere Kriterien der Ausschreibung sind eine Abwasserbehandlung nach modernsten Standards, ein hybrider diesel-elektrischer Antrieb, eine integrierte Unter-Eis-Robotik und die Option auf bis zu drei Hubschrauber-Landemöglichkeiten.
Auslieferung für 2026 erhofft
Karsten Wurr geht davon aus, dass die Ausschreibung im Frühjahr 2021 gestartet werden kann. Sobald die Angebote von interessierten Schiffbaubetrieben vorliegen, stehen Gespräche mit den einzelnen Bietern an, um die Eignung und Machbarkeit der Entwürfe näher zu erörtern. Der Zuschlag für den Bau, dessen Kosten auf rund 890 Millionen Euro veranschlagt sind, soll dem Zeitplan zufolge in der zweiten Jahreshälfte 2022 erteilt werden. Die Auslieferung des Schiffes erhofft sich das AWI für 2026, damit bis zur endgültigen Indienststellung noch ausreichend Zeit für Erprobungsfahrten verbleibt.
Dass der Auftrag direkt an norddeutsche Werften vergeben werden könnte, ist aus Wurrs Sicht nahezu ausgeschlossen. Einen solchen Weg hatten Bürgermeister Andreas Bovenschulte und die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (beide SPD), in einem Schreiben an das BMBF und weitere Ministerien gefordert. „Ich habe volle Sympathie für die Absicht der Ministerpräsidenten, die Wirtschaftsstrukturen an der Küsten zu stärken, aber dieser Weg wird wohl nicht gangbar sein“, glaubt der AWI-Verwaltungschef. Ein „Ausnahmetatbestand“, der eine Umgehung europäischen Ausschreibungsrechts ermöglichen würde, sei gegenwärtig nicht erkennbar.
Für eine Direktvergabe des Auftrags an Bremerhavener und mecklenburgische Schiffbaubetriebe oder zumindest ein beschleunigtes Verfahren hat sich am Donnerstag die Bürgerschaft ausgesprochen. Doch auch wenn das AWI diesen Vorstellungen nicht entsprechen kann – der politische Rückenwind aus dem Parlament für das Neubauprojekt ist für Karsten Wurr allemal „ein gutes Zeichen“. Das Land Bremen und die Stadt Bremerhaven könnten bei der Realisierung der „Polarstern II“ auch ganz praktisch helfen.
So werde das Afred-Wegener-Institut für die Projektsteuerung eine ganze Büroetage brauchen, über die es derzeit nicht verfügt. Unterstützung durch die Kommune sei da willkommen. Außerdem werde die Werft, die den Zuschlag erhält, wohl Bürgschaften für die Vorfinanzierung von Bauabschnitten benötigen. Dabei könne das Land wertvolle Dienste leisten.