Der junge Mann aus Montenegro ist 23 Jahre alt und seine Geschichte in Bremen lässt sich auf zweierlei Weise erzählen. Für die einen ist er ein notorischer Straftäter, gewalttätig und drogenabhängig und sollte abgeschoben werden. Andere beschreiben ihn als netten, sympathischen Kerl, der eine Chance für ein Leben in Bremen verdient hätte. Eine Geschichte, so kompliziert wie das Leben. Bislang aber auch eine Geschichte ohne Happy End.
Sie kenne ihn, seit er 14 Jahre alt ist, sagt Barbara Kopp und das lässt nichts Gutes erahnen, denn Kopp ist Rechtsanwältin. Dutzende Male habe sie ihn verteidigt. Diebstahl, Bedrohung, unerlaubter Drogenbesitz, Körperverletzung, schwerer räuberischer Diebstahl… „Und natürlich gab es parallel dazu auch Drogenprobleme.“
Sie wolle nichts entschuldigen, betont Kopp. Doch ein Blick auf seine Vita mache sein Verhalten als Jugendlicher zumindest erklärbar. Mit 14 kam er vor zehn Jahren mit seiner Familie aus dem Kosovo nach Deutschland. Sein Vater war schwerer Alkoholiker. Schläge für die Mutter und ihn selbst waren Alltag für den Jugendlichen. „Mit diesen Gewalterfahrungen ist er groß geworden.“ Als die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit seinem Vater überhandnahmen, musste der Junge das Wohnheim verlassen. „Es folgten diverse Inobhutnahmen, etwa ein halbes Dutzend, eine regelrechte Odyssee.“
Fünfmal saß er hinter Gittern. Die letzten Straftaten datieren aus dem Jahr 2020 und brachten ihm drei Jahre Jugendhaft ein. Wegen seiner Drogenabhängigkeit wurde er 2021 in eine Therapie entlassen. „Da ist er rausgeflogen“, berichtet Kopp unverblümt. Also wieder in Haft. Einen zweiten Therapieversuch nutzte er, um aus der Klinik zu verschwinden. Ein Jahr lang war er auf der Flucht, schlug sich mit Jobs und der Hilfe seiner Familie irgendwie durch. „Aber er beging schon in dieser Zeit keine Straftaten mehr“, betont seine Anwältin.
Dann, im Herbst 2022, begann sich diese Geschichte zu drehen. Der inzwischen 22-Jährige war noch untergetaucht, meldete sich aber bei seiner Anwältin. „Frau Kopp, bei mir ist noch eine Jugendstrafe offen. Ich will das alles endlich hinter mich bringen.“
Kurz darauf ist er wieder in Haft, ein Jahr seiner Strafe musste er noch absitzen. „Von da an ist es supergut mit ihm gelaufen“, sagt Barbara Kopp. „Er hat alle Hilfsprojekte in der JVA angenommen, das gesamte Haftverhalten war ohne jede Beanstandung.“ Und, vielleicht noch wichtiger: „Er hat keine Drogen mehr genommen.“ Stephanie Dehne bestätigt dies. „Er hat schon in der Haft gezeigt, was für eine enorme Persönlichkeitsentwicklung er durchmacht“, berichtet die Sprecherin der Justizbehörde. „Genau so soll es eigentlich sein in der JVA.“
Im August 2023 kommt er auf Bewährung frei. Erwachsenenschule, Integrationscoaching, Anti-Aggressionstraining – unterstützt von der Hoppenbank und der Hans-Wendt-Stiftung, ihres Zeichens freie Träger der Straffälligen- beziehungsweise der Jugendhilfe, nutzt er jedes Angebot. Freiwillig, er müsste das nicht machen. Sein Verhalten ist tadellos: „Vorbildlich, zuverlässig, eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten“, zitiert seine Anwältin aus Berichten der Hilfseinrichtungen. Sein Bewährungshelfer bescheinigt ihm ein „bemerkenswertes Reflexionsvermögen“, berichtet Justizsprecherin Dehne. „Er wollte sich ändern und ein anderes Leben führen.“
Nebenbei nimmt der junge Mann an dem Projekt „Frische Wände für ein Quartier“ teil. Dabei geht es darum, Graffiti zu entfernen. Wieder wird ihm „besonderer Einsatz“ bescheinigt und dass er einen „freundlichen, motivierten und engagierten Eindruck“ hinterlässt. Lohn der Bemühungen: Ein Malerbetrieb stellt ihm ein Vorpraktikum in Aussicht, sobald er die Schule beendet hat. Um zu schauen, wie er sich macht, wie es heißt. „Aber im Grunde haben die mit einem Ausbildungsvertrag gewedelt“, sagt Kopp.
Dann jedoch kippt die Geschichte ein weiteres Mal. Mitte Januar 2024 findet er über die Hans-Wendt-Stiftung eine Wohnung. Bis dahin hatte er bei seiner Mutter gelebt. Es werden Möbel beschafft, am 8. Februar baut er sie gemeinsam mit seinem Betreuer auf. Der Start in ein neues Leben scheint zum Greifen nahe. Abends geht es zurück in die Wohnung seiner Mutter, Geburtstag mit seiner Schwester feiern. Er übernachtet dort, dann stehen plötzlich maskierte Polizisten vor der Tür. Er wird nach Frankfurt gefahren. Wenig später sitzt er im Flieger nach Serbien, von wo aus er schließlich nach Montenegro gebracht wird. Drei Jahre lang darf er nicht nach Deutschland zurückkehren.
„Der Betroffene wurde am 9. Februar abgeschoben, da er vollziehbar ausreisepflichtig war und nach unserer Einschätzung auch weiterhin eine Gefahr von ihm ausging“, bestätigt Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin der Innenbehörde. Sein Asylantrag sei im April 2016 abgelehnt worden. „Seither ist er vollziehbar ausreisepflichtig.“ Schon im April 2020 wurde er formaljuristisch ausgewiesen und ihm wurde eine Abschiebung angedroht, danach lebte er nur mit einer Duldung weiter in Bremen. Mit seiner Abschiebung ein halbes Jahr nach der Haftentlassung, eingeleitet vom zuständigen Referat 24 der Innenbehörde, sei daher lediglich geltendes Recht angewendet worden.
Daran ändere auch die zwischenzeitliche kurze Verlängerung seiner Duldung verbunden mit einer Beschäftigungserlaubnis nichts. Ebenso wenig, wie die Tatsache, dass er sich selbst um die Beschaffung eines Passes gekümmert hatte. Gerade an diese Punkte hatte der junge Mann laut seiner Anwältin die Hoffnung geknüpft, endgültig in Deutschland bleiben zu dürfen. Die Beschaffung des Passes sei kein Entgegenkommen des Betroffenen gewesen, sondern seine Pflicht, stellt die Innenbehörde hierzu klar. Zudem sei ihm in diesem Zusammenhang mehrfach mitgeteilt worden, dass dies nichts an seinem Aufenthaltsstatus ändert und er nach wie vor ausreisepflichtig war.
Der von mehreren Stellen bekundeten positiven Persönlichkeitsentwicklung misst die Innenbehörde nur wenig Gewicht zu. Dem im Vollzug sowie unter Bewährung gezeigten Verhalten komme laut Rechtsprechung nur bedingte Aussagekraft zu, erläutert Gerdts-Schiffler. Auch der Betroffene habe zuvor schon einmal eine Bewährung „gerissen“ und war wieder straffällig geworden. Bei seiner Haftentlassung im August 2023 hätten dem Referat 24 sein Vollzugsplan aus der JVA vorgelegen sowie eine Mitteilung des Bewährungshelfers, in der auch positive Einschätzungen der Hans-Wendt-Stiftung erwähnt worden seien. Stellungnahmen von der Stiftung hätten nicht vorgelegen.
Generell müssten positive Prognoseeinschätzungen oder Berichte gegenüber dem Referat 24 von den Betroffenen selbst beziehungsweise über ihren Anwalt eingereicht werden, betont Gerdts-Schiffler. Anders als etwa die Staatsanwaltschaft in einem Gerichtsverfahren müsse das Referat positive Einschätzungen oder Prognosen nicht selbst zusammentragen.
Rechtsanwältin Kopp greift dies alles zu kurz. „Er hatte aufgrund seiner desolaten familiären Situation Drogenprobleme und war kriminell. Aber irgendwann hat er begonnen, sich mit seiner Situation auseinanderzusetzen, und hat dann für sich eine klare Entscheidung getroffen“, fasst sie zusammen. Für sie ein „Reifeprozess“, den die Innenbehörde dringend hätte berücksichtigen müssen. Stattdessen habe das Referat 24 nur auf die dreijährige Jugendstrafe geschaut. „Man musste ihn nicht mehr abschieben“, ist Kopp überzeugt. „Eigentlich hat man es nur aus einem Grund getan: Weil man es konnte.“