Bremen. Sind 370.000 Euro für einen geplanten Fußgängertunnel in Vegesack eine sinnvolle Ausgabe? Oder rausgeworfenes Geld? Diese Frage bewegt gerade die Bremer Politik, bis hinauf in Regierungskreise.
Die umstrittene Röhre soll 17 Meter lang werden und die Tiefgarage unter dem Sedanplatz mit einem Supermarkt verbinden - für die besagte Summe. Finanzsenatorin Karoline Linnert, die FDP und jetzt auch der grüne Wirtschaftspolitiker Frank Willmann gehen auf Distanz.
Der Empörungsgrad ist hoch. Senatorin Karoline Linnert sagte etwa im Gespräch mit unserer Zeitung: 'Ich bin die erste, die sich darüber freuen würde, wenn wir den Tunnel nicht bauen müssten.' Der Vorschlag, darauf zu verzichten, sei erfreulich. Noch klarer äußert sich jetzt der FDP-Fraktionsvorsitzende Uwe Woltemath: 'Seit Monaten steht fest, dass der geplante Tunnel reine Geldverschwendung ist. Immer mehr Menschen sprechen sich ausdrücklich gegen den Bau aus.' Er fordert den Senat auf, das Projekt endgültig zu stoppen. In Vegesack hat die FDP auch bereits Unterschriften gegen die Röhre gesammelt.
Auch nach Einschätzung des grünen Wirtschaftspolitikers Frank Willmann ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen. 'Ich erwarte vom Wirtschaftsressort zur nächsten Deputationssitzung einen Bericht, wie auf den Tunnelbau verzichtet werden kann.' Willmann warnt vor den Folgekosten für die Unterhaltung des Tunnels und hofft wie Woltemath darauf, dass ein Schlussstrich gezogen werden kann.
Ins Rollen gebracht hat die neue Debatte um den längst beschlossenen Tunnel unser Leser Dieter Brockmann. Er hatte sich an einem Aufruf unserer Zeitung beteiligt und dafür plädiert, auf das unterirdische Bauwerk angesichts der Bremer Haushaltslage doch zu verzichten. Auch der Bund der Steuerzahler hat das Projekt bereits ins Visier genommen.
Kellergeschoss ohne Mieter
Der Sedanplatz in Vegesack ist eine Problemzone. Vor Jahren herrschte hier noch Leben mit dem ehemaligen Kaufhaus Kramer, einem Edel-Möbelhaus und vielfältigen weiteren Einzelhandelsnutzungen. Doch mit der Pleite des Kaufhauses im Mai 2002 setzte ein Niedergang ein, der jetzt mit dem Umbau zum Behördenhaus wieder gestoppt werden soll. Für 7,6 Millionen Euro aus Mitteln der Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die über Mieten wieder reinkommen sollen.
In das sogenannte Stadthaus Vegesack sollen diverse Ämter einziehen, unter anderem wollen das Ortsamt und die Wirtschaftsförderung mit einem Nordbremer Büro Bürgerservice anbieten. Die Lebensmittel-Nahversorgung soll die Supermarktkette Netto auf einer Fläche von mehr als 1000 Quadratmetern übernehmen, die derzeit in die gegenüberliegende Markthalle umquartiert worden ist. Dazu kommen eine Filiale der Deutschen Bank und kleine Shops für Autoschilder-Hersteller. Der Vermietungsstand - Behörden eingerechnet - liegt bei 70 Prozent.
Ursprünglich war beabsichtigt, dass im Keller des ehemaligen Kaufhauses eine Bowlingbahn für zusätzlichen Schwung sorgt, allerdings sprangen die Interessenten für dieses Projekt ab. So fehlt für das Untergeschoss derzeit ein Mietinteressent. Laut Holger Bruns, Sprecher von Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD), bemühe sich die Wirtschaftsförderungsgesellschaft aber unverändert, dort zum Beispiel eine Disko oder doch ein Bowlingcenter anzusiedeln. 'Die Pläne sind noch nicht vom Tisch.'
Die Wirtschaftsbehörde hält auch unverzagt an den Tunnelplänen fest und pocht auf entsprechende Beschlüsse des Beirats, der Deputation und des Haushaltsausschusses. Bruns: 'Es ist nicht so, dass der Wirtschaftssenator den Ehrgeiz hat, Geld in irgendwelche Buddeleien zu versenken.' Der Tunnel - so die Sichtweise des Ressorts - werde vielmehr als zwingend notwendig für das Gesamtvorhaben Stadthaus angesehen. Man müsse vorsichtig sein, dass man das, was man sich jetzt mühsam erarbeitet habe, nicht durch eine Sommerloch-Debatte in schweres Fahrwasser bringe.
Behördensprecher Bruns bestätigt auch, dass der Mieter Netto auf den Tunnel baut. In einem aktuellen Schreiben betone ein Vertreter der Supermarkt-Kette, dass die direkte Anbindung an die Tiefgarage für die Kunden wichtig sei und dass Netto deshalb die Umsetzung als bedeutend erachte, um das Stadthaus-Projekt langfristig zu sichern. In diesem Punkt hatte es an den vergangenen Tagen Unstimmigkeiten gegeben. Zunächst hatte eine Netto-Mitarbeiterin erklärt, der Tunnel sei aus Warte des Unternehmens nicht zwingend notwendig. Außer der Tiefgarage gibt es keine Möglichkeit, den Supermarkt anzufahren. Rückwärtig ist die Immobilie lediglich über enge Wohnstraßen erreichbar, vor dem Stadthaus liegt die Fußgängerzone.
Nächstes Problem: Markthalle
Nach dem jetzigen Stand soll das Stadthaus im kommenden Frühjahr eröffnet werden - mit Tunnel. Holger Bruns geht davon aus, dass die Bauarbeiten für die Röhre plangemäß im September beginnen. Zuvor, am 12. August, wird sich noch der Beirat mit dem Sachstand beschäftigen. Weil dann Netto die Markthalle wieder freizieht, taucht das nächste Problem auf: Was wird aus der Markthalle? Der Investor - AVW aus Buxtehude - hat praktisch seit der Eröffnung Ende 2007 Probleme, die Halle mit Leben zu füllen. Jetzt laufen erste Gespräche zwischen der Wirtschaftsbehörde und dem Investor darüber, wie die Zukunft aussehen kann.