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Lieferengpässe Antibiotika für Kinder werden in Bremen knapp

Im Winter waren es Fiebersäfte, jetzt sind Antibiotika für Kinder Mangelware – mitten in einer Infektionswelle. Die Lage in Bremer Apotheken und Arztpraxen - und was die Gesundheitsbehörde dagegen unternimmt.
21.04.2023, 05:00 Uhr
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Antibiotika für Kinder werden in Bremen knapp
Von Sabine Doll

Immer häufiger erleben Eltern diese Situation: Ihr Kind ist krank, der Arzt oder die Ärztin hat ein Antibiotikum verschrieben – das Medikament ist in der Apotheke aber nicht vorrätig. Nach Engpässen bei Schmerzmitteln und Fiebersäften sind aktuell Antibiotika für Kinder bundesweit Mangelware. „Ein solches Ausmaß habe ich noch nie erlebt, das ist schon dramatisch“, sagt der Bremer Apotheker Holger Piekuth. „Die Lage spitzt sich generell immer weiter zu, auch bei Arzneimitteln für Erwachsene.“

Antibiotika werden bei bakteriellen Infektionen verschrieben, seit einigen Wochen sorgt etwa eine Scharlach-Welle für volle Kinderarztpraxen und beanspruchte Notdienste. Die Krankheit wird von Streptokokken ausgelöst und kann zu schweren Verläufen mit hohem Fieber führen. Streptokokken-Infektionen werden in der Regel mit Antibiotika behandelt. Diese sind in kindgerechter Form, also als Säfte, immer schwieriger zu bekommen.

Die Kinder blieben nicht unversorgt, mitunter könne es aber länger dauern. „Die Apotheken helfen sich gegenseitig aus und man versucht, über die Großhändler an Packungen zu kommen. Das gelingt auch, aber nicht in der Größenordnung, die notwendig wäre“, sagt Piekuth. „Als Alternativen gibt es Antibiotika der zweiten und dritten Wahl, hier ist der Mangel aber ebenfalls programmiert, weil sich alle darauf stürzen.“ Die Eigenherstellung in der Apotheke sei eine Option, aber dafür fehle Personal. Hinzu komme: Flaschen, Verschlüsse und der Wirkstoff seien ebenfalls Mangelware.

Die Bremer Apothekerkammer hat in dieser Woche bei etwa 40 der 135 Apotheken die Antibiotika-Bestände für Kinder abgefragt: Von Penicillin V waren am Dienstag elf und von dem Antibiotikum Amoxicillin zwischen 50 und 60 Packungen in Form von Säften vorrätig. „Tröpfchenweise wird immer wieder einmal geliefert. Das Problem ist aber, dass man nicht weiß, wann und wie viel“, sagt Kammer-Geschäftsführerin Isabel Justus. „Die Kolleginnen und Kollegen in den Apotheken sind wirklich verzweifelt.“

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Das bestätigt auch der Bremer Kinderarzt Hendrik Crasemann: „Die Lage ist alarmierend, das bekommen wir insbesondere auch in den Notdiensten zu spüren.“ Streptokokken-Infektionen könnten sehr schwer verlaufen, „die Sorge ist schon da, dass ein Kind nicht mit einem entsprechenden Antibiotikum versorgt werden kann. Das wäre eine Katastrophe.“

Die Ursache für die Infektionswellen bei Kindern in den vergangenen Monaten vermuten Ärzte in einer Art Nachholeffekt: „Durch die Pandemie-Maßnahmen wurde das Immunsystem nicht ausreichend trainiert, so die Theorie“, sagt Melchior Lauten, Chefarzt im Eltern-Kind-Zentrum Prof. Hess am Klinikum Bremen-Mitte. Dies mache sich auch in der Kinderklinik bemerkbar: So müssten auch mehr Kinder mit schweren Verläufen von Lungenentzündungen behandelt werden. „Wir sind über unsere Apotheke gut aufgestellt, aber es ist generell schon so, dass es schwieriger wird und nicht absehbar ist, dass sich die Lage ändert“, sagt Lauten.

Die Bremer Gesundheitsbehörde hat auf die Notrufe der Ärzte und Apotheker reagiert: Mit den Apotheken sei vereinbart worden, dass diese Antibiotika-Säfte selbst herstellen dürften. Dies habe sich aber nur als kleine Lösung erwiesen. „Nach verschiedenen Gesprächen in der vergangenen Woche haben wir daher am Montag das Bundesgesundheitsministerium darum gebeten, eine Versorgungsnotlage für bestimmte Antibiotika festzustellen“, sagt Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) auf Anfrage des WESER-KURIER. Das Ministerium habe angekündigt, diese Notlage schnell erklären zu wollen. „Damit würden wir den Apotheken im Land Bremen erlauben können, Antibiotika direkt aus dem Ausland zu importieren. Das wird die Situation jetzt kurzfristig auf jeden Fall entspannen können“, so Bernhard.

Als Übergangslösung könne dies hilfreich sein, sagt der Vorsitzende des Bremer Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Stefan Trapp. „Die Hauptursache der immer gravierenderen Arzneimittel-Engpässe liegt aber woanders.“ Rabattverträge mit den Pharmafirmen hätten Deutschland zu einem Niedrigpreisland bei Medikamenten gemacht. Die Folgen: Die Hersteller hätten keine Anreize, hier zu produzieren oder nach Deutschland zu liefern, wenn in anderen Ländern mehr gezahlt werde. „Wir müssen ein wenig davon wegkommen, dass immer alles möglichst billig sein muss“, so Trapp.

Die Engpässe hätten eine weitere besorgniserregende Nebenwirkung: So müsse oftmals auf Antibiotika mit unnötig breitem Wirkspektrum ausgewichen werden. „Das wirft uns im Bemühen, die Bildung von Antibiotika-Resistenzen einzudämmen, zurück und kann diese sogar noch fördern.“

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