Es sind noch gar nicht alle Teilnehmer eingetroffen, da holt eine Anwohnerin schon den Zollstock heraus. Der Kleinwagen parkt mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig, ziemlich nah an der Hauswand. 1,20 Meter zeigt der Zollstock an. „Zu wenig“, sagt sie. Von allen Seiten kommen nun Hinweise: Ein Verkehrsschild steht im Weg, der Bordstein ist nicht richtig abgesenkt. Am Ende läuft es auf eine Frage hinaus: Wer bekommt wie viel Platz im öffentlichen Raum?
An diesem Donnerstagnachmittag haben der Bremer Fußverkehrsverein, der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der BUND eingeladen, um ihre Positionen am praktischen Beispiel zu verdeutlichen. Treffpunkt Hardenbergstraße, Ecke Kirchweg. In diesem Teil der Bremer Neustadt wohnen viele junge Familien, Lastenräder und Kinderwagen gehören zum Straßenbild. Autos gibt es viele, freie Parkplätze kaum. Etwa 20 Menschen drängen sich um Wolfgang Köhler-Naumann vom Bremer VCD-Landesverband. In seiner gelben Jacke hat man ihn gut im Blick, als der Tross sich langsam in Bewegung setzt.

Wolfgang Köhler-Naumann.
Ein Rundgang soll es werden, durch die schmalen Straßen der Neustadt, in denen die Verkehrswende noch nicht so weit vorangeschritten ist, wie es sich viele der Teilnehmer wünschen. Unter ihnen sind drei Rollstuhlfahrer, viele Fußgänger, kleine Kinder auf bunten Fahrrädern. Man wolle den Blick für Mängel schärfen, sagt Angelika Schlansky vom Bremer Fußverkehrsverein. Hindernisse für Rollstuhlfahrer, Gefahrstellen für Kinder – „Schreibt alles auf, was euch auffällt“, sagt Köhler-Naumann. Die Organisatoren haben eine große Tafel dabei. Sie wird schnell voll. Die Erkenntnisse sollen später an Ortspolitiker überreicht werden.
„Bordstein ist zu hoch“
„Warum fährst du auf der Straße?“, fragt Köhler-Naumann. Der Bordstein sei zu hoch gewesen, sagt Matthias Botter, der die Gruppe mit seinem wuchtigen Elektrorollstuhl links überholt. Längere Zeit ausschließlich auf dem Gehweg zu fahren, sei in dieser Gegend kaum möglich. Botter redet viel und laut, seine Verärgerung ist ihm anzumerken. Dass nicht konsequenter gegen Falschparker vorgegangen werde, könne er nicht verstehen.
„Dass aufgesetztes Parken noch immer nicht flächendeckend geahndet wird, verschleppt die Verkehrswende von Jahr zu Jahr“, sagt die VCD-Landesvorsitzende Katharina Maas. Das Thema ist ein Dauerbrenner: Wie berichtet, hat das Verwaltungsgericht im Februar die Verkehrsbehörde im Grundsatz dazu verpflichtet, gegen das bislang geduldete aufgesetzte Parken einzuschreiten. Aus Sicht der Kläger hat das Gericht allerdings offengelassen, welche Maßnahmen gegen das aufgesetzte Parken konkret zu treffen seien. Sie sind in Berufung gegangen – im Dezember wird vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt. Einer der Kläger: Wolfgang Köhler-Naumann, der auf Nachbesserungen hofft. Die Stadt müsse nicht nur Vorschriften machen, sondern auch deren Umsetzung sicherstellen.
Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) und Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) haben gegen das Urteil ebenfalls Rechtsmittel eingelegt – gemeinsam. Einig sind sie sich beim Thema Parken allerdings nicht. Schaefer hatte nach dem Urteilsspruch schnelles Handeln angemahnt, während das Innenressort eine strikte Umsetzung des Richterspruches als realitätsfern bezeichnete.
Positive Auswirkungen des Gerichtsurteils sieht Köhler-Naumann laut eigener Aussage bislang nicht. Im Gegenteil: Mäurers Konzept für einen „Parkfrieden“, das im Juni an die Öffentlichkeit gelangt war, blockiere jeglichen Fortschritt. Das Positionspapier macht Vorschläge, die aus Mäurers Sicht den Belangen aller Verkehrsteilnehmer gerecht werden. Aufgesetztes Parken ist darin – unter Einhaltung bestimmter Regeln – weiterhin vorgesehen. „Dass sich die Autofahrer nicht an irgendwelche weißen Linien auf dem Boden halten, weiß Herr Mäurer ganz genau“, kritisiert Köhler-Naumann.
In der Willigstraße prallen Theorie und Praxis aufeinander. Nach Mäurers Einschätzung reichen 1,50 Meter nutzbare Gehwegbreite in bestimmten Straßen aus, der Landesbehindertenbeauftragte fordert mindestens 1,80 Meter. Für Matthias Botter und Michael Berger, der ebenfalls im Rollstuhl sitzt, geht es im Alltag oft durch deutlich schmalere Lücken. Am Ende der Willigstraße parkt ein Auto so weit auf dem Gehweg, dass selbst Berger mit seinem deutlich kleineren Rollstuhl das Fahrzeug kaum passieren kann. „Immerhin hat er seinen Seitenspiegel eingeklappt“, sagt Botter. Kurz überlegt die Gruppe, die Polizei zu rufen. „Mal schauen, wie lange es dauert, bis jemand kommt“, sagt eine Teilnehmerin. Die Idee wird verworfen. Man ist sich einig, dass es nicht viel bringen würde.