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Bovenschulte im Interview Was Bremens Bürgermeister zum Streit in der Koalition sagt

Es gibt Stress in Bremens rot-grün-roter Koalition. Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) will das nicht wegdiskutieren. Im Interview sieht er jedoch deutlich mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes im Bündnis.
14.12.2024, 07:06 Uhr
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Was Bremens Bürgermeister zum Streit in der Koalition sagt
Von Jürgen Theiner

Herr Bovenschulte, kurz vor Weihnachten geht es in der rot-grün-roten Koalition heftig zur Sache. Auf mehreren Feldern wird heftig um den richtigen Kurs gestritten. Haben Sie den Laden noch im Griff?

Andreas Bovenschulte: Wir haben als Koalition gerade erst in dieser Woche gemeinsam den Haushalt für 2025 durch das Parlament gebracht – ohne Kreditaufnahme, ohne Erklärung einer Notlage. Wir haben uns auch geräuschlos in der Koalition auf ein Sanierungsprogramm für die bremischen Finanzen verständigt. Wenn so etwas gelingt, kann keine Rede davon sein, dass die Koalition ihre Gemeinsamkeiten aufgebraucht hat.

Haushaltspolitik ist ein wichtiges Feld, aber nicht das einzige. Anderswo brennt’s.

Der Haushalt ist die in Zahlen gegossene Grundlage der Politik. Und da haben wir deutlich gemacht: Diese Koalition ist handlungsfähig. Dass es an einzelnen Punkten auch mal Meinungsverschiedenheiten gibt, kommt in den besten Beziehungen vor.

Die Streitpunkte ballen sich aber gerade. Wir können sie ja mal durchgehen: Ganz aktuell gibt es einen massiven Konflikt um das Kirchenasyl. Die Linken-Fraktionsvorsitzende Sofia Leonidakis hat Innensenator Mäurer am Mittwoch in der Bürgerschaft so heftig attackiert, wie es sonst nur die Opposition täte. Sie saßen neben Herrn Mäurer und sagten kein Wort dazu.

Das Thema Kirchenasyl ist sehr emotional besetzt. Ich habe meine Position dazu schon vor der Debatte in der Bürgerschaft deutlich gemacht. Und die lautet: Die Kritik am Innensenator ist sachlich nicht gerechtfertigt und lag in den vergangenen Tagen auch im Ton häufig daneben. Nun lässt sich nicht leugnen, dass es in der Koalition zum Kirchenasyl sehr unterschiedliche Positionen gibt. Mir liegt deshalb sehr daran, dass wir in den anstehenden Gesprächen zwischen der Innenbehörde und der Bremischen Evangelischen Kirche wieder ein gemeinsames rechtsstaatliches Verständnis von der Handhabung des Kirchenasyls erreichen, wie wir es ja über viele Jahre auch hatten. Da müssen wir wieder hinkommen. Ich habe den Eindruck, dass die BEK-Leitung selbst unglücklich über die jetzige Situation ist.

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Stehen Sie denn hinter Herrn Mäurer? Er scheint ja die Nase voll davon zu haben, dass bestimmte Kirchengemeinden staatliche Asyl-Rechtsakte durch massenhaft gewährtes Kirchenasyl unterlaufen.

Ulrich Mäurer und ich sind beide davon überzeugt, dass das Kirchenasyl eine wichtige humanitäre Institution ist. Einerseits. Wir meinen aber auch, dass es immer nur Ultima Ratio sein kann, ein letztes Mittel in unzumutbaren Härtefällen und nicht ein Instrument der Migrationspolitik. Kirchenasyl darf nicht zum Regelfall werden. Das ist die Linie, die wir auch gegenüber der BEK vertreten.

Dass die Linken den Innensenator attackieren, ist kein Einzelfall. Es kommen aus dieser Richtung immer wieder Querschüsse, zuletzt zum Beispiel beim Waffenrecht und bei der Bezahlkarte für Asylbewerber. Deshalb die Frage: Wie viel Eigenprofilierung eines Partners hält so ein Regierungsbündnis aus?

Nochmal: Es gibt deutlich mehr Gemeinsamkeiten als Streitpunkte in der rot-grün-roten Koalition. Auf den Haushalt und das Sanierungsprogramm habe ich schon hingewiesen. Da haben mich Kollegen auf Bundesebene sogar gefragt: Wie kriegt ihr das eigentlich so harmonisch hin? Ich würde die Beispiele, die Sie gerade angeführt haben, deswegen nicht so hoch hängen, zumal wir in beiden Fällen am Ende ja eine vernünftige Lösung gefunden haben.

Ein anderer Streitpunkt innerhalb der Koalition betrifft den Wohnungsbau. Sie treten für einen Abbau von Vorschriften ein, beispielsweise bei kostentreibenden Baustandards, die der CO₂-Einsparung dienen sollen. Für den Grünen-Fraktionsvize Philipp Bruck ist das „Quatsch“.

Wir haben uns als Koalition darauf verständigt, Bremer Standards, die oberhalb der bundesweiten Regelstandards liegen, auf den Prüfstand zu stellen. Das betrifft den Bausektor, ökologische Standards, den sozialen Bereich und weitere Felder. Wir müssen das tun, weil wir uns in vielen Fällen Sonderwege einfach nicht mehr leisten können. Das ist für alle Partner in der Koalition anstrengend.

Aber offenbar nicht gleichmäßig anstrengend.

Den Grünen fällt das sicherlich im ökologischen Bereich besonders schwer, SPD und Linken im sozialen.

Sie leiten eine Senatskommission Wohnungsbau, die einen Maßnahmenkatalog für günstigeres Bauen erarbeiten soll. Wann liegt der vor und was muss da drinstehen?

Auf eine Sache haben wir uns ja schon verständigt: Bremen wird bei Gebäuden künftig nicht mehr die Effizienzklasse EH 40 verlangen, in Zukunft wird der bundesweite Regelstandard EH 55 gelten. Die Angleichung an Bundesstandards soll auch beim Schallschutz kommen. Beim Mobilitätsortsgesetz, in dem es um Stellplätze und Mobilitätskonzepte geht, sind die Grünen gegen eine generelle Aussetzung. Sie zeigen sich aber offen für Vereinfachungen. Am Ende werden wir zu einem vernünftigen Kompromiss kommen. Ich gehe davon aus, dass Anfang nächsten Jahres Ergebnisse vorliegen.

Ein anderes Sorgenkind ist der Bildungsbereich. Senatorin Sascha Aulepp zieht da viel Kritik auf sich, übrigens auch wieder von den Linken. Guten Willen wird Frau Aulepp niemand absprechen, aber ihre Erfolgsbilanz ist überschaubar. Sie agiert auch nicht besonders geschickt. Wie lange wollen Sie an noch an ihr festhalten?

Sascha Aulepp macht in schwierigen Zeiten und unter schwierigen Rahmenbedingungen einen guten Job. Sie stellt sich den Debatten und scheut keine Auseinandersetzung. Nehmen wir die Kitaplatz-Versorgung. Es wäre super, wenn wir die ausschließlich mit hochqualifizierten Fachkräften sicherstellen könnten. Die stehen aber auf absehbare Zeit nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung. Unsere Bildungssenatorin sagt deshalb: Für mich hat eine möglichst hohe Zahl an Kita-Plätzen Priorität, weil davon die Lebenschancen von Kindern abhängen, deshalb müssen wir beim Personaleinsatz flexibler werden.

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Sie kommuniziert das aber nicht so, sondern sagt: Wir stellen Gärtner oder Musiker als Hilfskräfte ein. So etwas macht dann bundesweit negative Schlagzeilen. Das meinte ich mit mangelndem Geschick.

Einigkeit besteht darüber, dass nur geeignete Personen in den Kitas eingesetzt werden dürfen. Was das genau bedeutet und welchen formalen Mindestqualifikationen wir von Beschäftigten in den Kitas künftig verlangen sollten, darüber werden wir uns fachlich verständigen müssen. Am Ende wird auch hier ein Kompromiss stehen. Das gehört zum koalitionären Geschäft dazu.

Frau Aulepp hat also eine Jobgarantie bis zum Ende der Legislaturperiode?

Eine Jobgarantie hat niemand von uns im Senat, mich eingeschlossen. Wir sind alle auf Zeit von der Bürgerschaft gewählt.

Dann gibt es also auch keine Garantie für das Fortbestehen der Koalition bis 2027? Diese Frage drängt sich ja auf, angesichts der aktuellen Häufung von Konflikten und Problemen.

Natürlich ist es das Ziel, mit der Koalition über die ganze Legislaturperiode zu gehen, und ich bin auch optimistisch, dass das gelingt. Aber klar: Voraussetzung ist, dass wir uns nicht mit uns selbst beschäftigten, sondern die Probleme im Land anpacken. Wir müssen den Menschen einerseits Sicherheit geben – soziale Sicherheit und innere Sicherheit - und sie andererseits dafür gewinnen, den notwendigen Wandel zu gestalten, um unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft zukunftsfest zu machen. Das ist eine große Aufgabe.

Das Gespräch führte Jürgen Theiner.

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