Immer dreistere Dealer und immer mehr Einbrüche – drei Geschäftsführer aus dem Viertel sorgen sich um das Image ihres Quartiers. „Das Viertel steht kurz vor dem Kipppunkt“, sagt Peer Rüdiger, Inhaber der Steintor-Presse im Medienhaven. Unterstützung bekommt er von Jens Schumacher von Art ’n’ Card und Harald Lührs vom Teeladen Buddhawelt. Nach ihren Angaben hat die Kriminalität vor ihren Läden in der Straße Vor dem Steintor in den vergangenen Monaten zugenommen. Sie sprechen von einer Welle von Einbrüchen und verstärktem Drogenhandel.
Geschäftsleute fordern Runden Tisch
„Die Dealerschaft hat sich mindestens verdoppelt“, sagt Schumacher. Kleindealer würden in unmittelbarer Nähe der Geschäfte ungeniert Drogendepots einrichten. Auch in der Passage beim Atrium würden Drogendeals abgewickelt. In der Folge blieben Kunden aus gut situierten Stadtteilen weg. Zum Teil, weil sie Angst hätten, vermutet Lührs. „Der Machismo wird stärker, Frauen fühlen sich abgeschreckt.“ Die Politik müsse handeln, um den Imageverfall aufzuhalten. Dafür braucht es aus Sicht der Geschäftsleute einen Runden Tisch mit Vertretern aller Senatsressorts.
Peer Rüdiger ist nach eigenen Angaben seit etwa neun Monaten mit Vertretern aus Politik und Verwaltung in Kontakt. Bislang habe er nur warme Worte, "aber überhaupt keine konkrete Hilfe" geerntet. Die Politik erkenne den Wert von Quartieren nicht, meint Rüdiger. "Während sich national und international eine große Zahl von Städten um den Erhalt und die Unterstützung von Kleinbetrieben und Geschäften als wichtigen Kitt der gewachsenen Quartiere kümmert, ist in Bremen die Politik des letzten Jahrhunderts vorherrschend: große Bauprojekte, Leuchtturmprojekte, Bewegung riesiger Summen", sagt er. Das gehe zulasten gewachsener Stadtviertel. Das Problem existiere stadtteilübergreifend: "Im Buntentor ist es genauso erschreckend."
Offenbar habe Bremen keine behördlichen Werkzeuge, um Betrieben zu helfen, die in existenzielle Probleme geraten, weil sich das Umfeld verschlechtere, so Rüdiger.
Das Viertel sei mit mehr als 1400 Betrieben ein bedeutender Standort, betont Sven Wiebe, Staatsrat der Wirtschaftssenatorin. „Mit dem großen und vielfältigen Angebot an Einzelhandel, Kultur und Gastronomie ist es für die Attraktivität Bremens ein wichtiger und gewichtiger Faktor.“ Das Wirtschaftsressort unterstütze daher das Viertel mit 114.000 Euro pro Jahr an die Interessengemeinschaft Das Viertel (IGV) sowie einer Vielzahl an Maßnahmen, unter anderem verkaufsoffene Sonntage, Präsenz in sozialen Medien, Leerstandsmanagement und einem multikulturellen Dialog der Geschäftsleute. In der Coronakrise habe das IGV zudem 70.000 Euro aus dem Aktionsprogramm Aufenthalts- und Erlebnisqualität Stadtteilzentren 2021 zur Unterstützung des Handels und der Gastronomie erhalten.
Ortsamtsleiterin fordert mehr Polizisten
Laut Ortsamtsleiterin Hellena Harttung (parteilos) gibt es "keine einfachen Lösungen" für die Probleme. Sie stehe dazu seit Jahren mit der Interessengemeinschaft Das Viertel (IGV) in Kontakt. "Wir brauchen mehr Kops auf der Straße. Die Polizei muss ansprechbar und sichtbar sein", sagt sie. Auch die Reinigungsintervalle müssten erhöht werden. Und: "Der Einzelhandel steckt total in der Krise: Zuerst kam Corona, dann die Konkurrenz durch den Online-Handel. Und mittelgroße Start-ups können sich die Mieten nicht mehr leisten", sagt Harttung. Da seien auch die Vermieter gefragt. Man könne nur immer wieder dazu auffordern, die Händler mit dem Einkauf vor Ort zu unterstützen. Letztlich ist es aus ihrer Sicht aber immer noch belebt auf den Straßen im Viertel.
Peer Rüdiger, der sich als Selbstständiger seit Jahren in der Quartiersentwicklung engagiert, hofft weiter auf eine politische Lösung. Zuletzt gab es Mitte Juli einen Austausch zwischen der IGV, der Polizei und dem Innenressort über Drogenhandel und Konflikten mit der Szene.
Seit Juni seien jeden Freitag sogenannte Viertelstreifen unterwegs, sagt Franka Haedke, Pressesprecherin der Polizei Bremen. Demnach sind zwischen 18 und 2 Uhr Polizisten und Mitarbeiter des Ordnungsdienstes im Viertel unterwegs. Auch mehrfach wöchentlich seien diese präsent. Bei acht zusätzlichen Kontrollen sind laut Haedke Verwarnungen wegen Lärm und Alkoholkonsum ausgesprochen und Strafanzeigen wegen Betäubungsmitteldelikten gestellt worden. Den Gewerbetreibenden habe man geraten, „etwaige Bedrohungen oder Handelsvorgänge konsequent zur Anzeige zu bringen“.
Die Polizei bestätigt Einbrüche in Geschäfte im Steintor und Ostertor. Ihr sei kein Zusammenhang mit Drogenhändlern bekannt, Einbruchsdiebstahl sei ein Delikt der Beschaffungskriminalität, sagt Haedke. So ist ihren Angaben zufolge unter anderem ein drogenabhängiger Tatverdächtiger nach mehreren Einbrüchen im Steintor Mitte Juli vorläufig festgenommen worden.
Rüdiger will nicht nur tadeln. Auf der Suche nach Lösungen lohne sich der Blick in andere Länder, etwa nach Frankreich. "Wenn es weniger als 15 Prozent inhabergeführte Betriebe gibt, kippt ein Stadtteil", meint Rüdiger. Dies hätten Verantwortliche in Frankreich festgestellt, bevor man dort mit Semaest, ein Projekt gegen die Verödung der Pariser Innenstadt, gestartet sei. Semaest handelt als Institution im Auftrag der Stadt und hat beim Verkauf von Ladenlokalen ein Vorkaufsrecht, um Kleinbetrieben eine günstige Miete anbieten zu können. Das erleichtere dem Einzelhandel zu überleben – auch in Krisenzeiten.