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Einzelhandel Warum in einigen Bremer Stadtteilen immer mehr Kioske eröffnen

Für viele ist er der tägliche Anlaufpunkt, um sich mit Zeitung, Tabak, Schnökerkram oder Getränken zu versorgen: der Kiosk am Eck. Wie viele gibt es in Bremen? Haben manche Stadtteile zu viele, andere zu wenig?
02.06.2023, 04:48 Uhr
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Warum in einigen Bremer Stadtteilen immer mehr Kioske eröffnen
Von Lisa Duncan

Wer bei Johanna und Oliver Reich einkauft, bekommt zur Zeitung oder zum Kaffee als kleine Aufmerksamkeit oft ein Hustenbonbon gratis dazu. Die Flaschenpost im Bremer Viertel – „das ist kein Kiosk, sondern eine Institution“, sagt Johanna Reich. „Du bist hier alles: Psychologe, Berater, Seelenklempner“, erzählt die Geschäftsinhaberin in einer kleinen Atempause zwischen Kundengesprächen. Seit Dezember 2004 betreibt sie mit ihrem Mann den Kiosk im Ostertorsteinweg. Hier gibt es auf engstem Raum weit mehr als Tabak, Schnökerkram und kalte Getränke. Das Geschäft, werktags von 7 bis 23 Uhr geöffnet, sonntags ab 8 Uhr, führt fast alles vom Frühstücksei bis zur Konservendose, vom Kondom bis zur Wegwerfwindel. Zum Lotto spielen, für DHL-Retouren oder Gelbe Säcke ist man hier auch an der richtigen Adresse.

Die Flaschenpost ist nur einer von vielen Kiosken im Viertel – und der einzige im Ostertorsteinweg. Anders sieht es Richtung Steintor aus: Zwischen Sielwall und Lüneburger Straße hat die Bürgerinitiative Leben im Viertel (Liv) kürzlich 16 Kioske gezählt, dazu 19 Imbisse, 13 Friseure und sechs „Gold“-Läden. „Gleichzeitig gab es in den letzten drei Jahren einige Geschäftsaufgaben, etwa der Modeladen Tan Tan, der Wild- und Geflügelhandel Kreienborg oder Fisch-Kähler“, zählt Liv-Mitglied Stefan Schafheitlin auf. Er ist seit 40 Jahren Viertelbewohner und engagiert sich seit Langem für das Miteinander im Quartier, seit vier Jahren im Beirat Östliche Vorstadt.

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Der 80-Jährige beklagt eine „Monokultur von Kiosken, Kneipen und gastronomischen Betrieben“. Der „Sündenfall“ sei Anfang der 2000er-Jahre die Aufhebung der seit den 70er-Jahren geltenden Konzessionssperre gewesen. Bis dahin hätten im Steintor keine neuen gastronomischen Betriebe eröffnet werden dürfen oder nur unter strengen Auflagen. Es sollten nur hochwertige Betriebe sein, die entlang der Hauptverkehrsadern und nicht in Wohnstraßen liegen. Die Idee: Die Gastronomie sollte dem Einzelhandel Kunden bringen. Von diesem Ziel habe sich die Politik verabschiedet. „Orts- und Stadtpolitik haben die selbst gesetzten Regeln hinsichtlich der Qualitätsanforderungen nicht eingehalten, sondern Wildwuchs zugelassen“, kritisiert Schafheitlin.

Schafheitlin findet, dass die Mischung im Einzelhandel stimmen sollte. Das regle der Markt nicht alleine: Durch steigende Mieten hätten sich bald nur Eigentümer ein Geschäft leisten können, „und Kioske, Kneipen und Imbisse machen mehr Umsatz pro Quadratmeter als ein Restaurant“. Wer im Einzelnen hinter den Läden stecke, werde im städtischen Bauausschuss aus Datenschutzgründen nicht öffentlich diskutiert.

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Das sei „teilweise gerechtfertigt“, sofern Geschäftsmodelle Auswirkungen auf den öffentlichen Raum hätten, müssten diese aber öffentlich diskutiert werden. Er beklagt, dass manche Kioskbesitzer verbotenerweise vor dem Laden Tische, Stühle oder Bänke aufstellten. Vermüllung sei zum Teil ein Problem und manche Betreiber hielten beim Verkauf von Alkohol oder Tabak den Jugendschutz nicht ein. Durch Aufsteller würden Fußwege für Mobilitätseingeschränkte blockiert.

Inwieweit regelt die Stadt die Ansiedlung? „Einen Kiosk kann grundsätzlich jeder eröffnen“, sagt Kristin Viezens, Sprecherin von  Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke). Gewerberechtlich gebe es keine Beschränkungen. Wie viele Kioske es in Bremen gibt, kann sie nur grob sagen. Denn niemand melde ein Gewerbe als Kiosk an, sondern mit einer detaillierten Tätigkeitsbeschreibung, aus der hervorgeht, ob Süßigkeiten, Alkohol oder Zeitschriften verkauft werden sollten. Dies treffe derzeit auf etwa 350 Betriebe in Bremen zu, was theoretisch Feinkostläden, Tankstellen sowie Super- und Getränkemärkte miteinschließt. „Es gibt seitens des Baurechts für Kioske keine besonderen Einschränkungen“, informiert Linda Neddermann, Sprecherin des Ressorts für Stadtentwicklung. Es gelte die Bremische Landesbauordnung – wie für alle anderen Vorhaben. „Uns sind zudem keine Beispiele bekannt, bei denen das Baurecht die Eröffnung von Kiosken begünstigte oder verhinderte“, so Neddermann. Während in der Östlichen Vorstadt, in der Neustadt und in Walle die Kioskdichte hoch ist, muss man etwa in Schwachhausen einen Spätkauf mit der Lupe suchen. Auch die Sögestraße ist kein Ort, an dem man einen Kiosk vermuten würde. Vor Kurzem haben dort aber zwei Kioske eröffnet – der Söge-Kiosk und ein weiterer, der noch das Namensschild des vorherigen Geschäfts trägt.

„Kiosk ist nicht gleich Kiosk“, meint Jens Ristedt, Vorsitzender der City-Initiative Bremen und Inhaber des gleichnamigen Modehauses. Es gebe auch gut gemachte Geschäfte, die in den Stadtteilen als Nahversorger fungierten. Ein Laden, der Gebäck, die Tüte Chips nach Feierabend oder Zeitschriften verkaufe, könne gut und hochwertig gemacht sein. „Man kann sich vieles wünschen und wünscht sich in der Sögestraße natürlich die Ansiedlung guter Fachgeschäfte, die wertig sind und ins Straßengefüge passen“, erklärt Ristedt. Letztlich sei es aber eine Marktentscheidung, die sich nicht von Dritten beeinflussen lasse. Vermieter und Existenzgründer müssten sich einig sein. Punkt. „Die rechtliche Grundlage fehlt, um das zu beeinflussen“, so Ristedt.schn

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Vom "Späti" zum "Büdchen"

Per Definition ist ein Kiosk ein "nach mehreren Seiten offener, frei stehender Bau" oder "ein Laden zum Verkauf von Kleinigkeiten". Im Bundesvergleich rühmt sich Hannover als Stadt mit der höchsten Kiosk-Dichte. Allein, dass es so viele unterschiedliche Begriffe für diese Art des Einzelhandels gibt, spricht Bände. In Tankstellen häufig als "Minimarkt" bezeichnet, kennt man im Ruhrpott vor allem die "Bude", die der Kölner leicht abgewandelt "Büdchen" oder "Büdche" nennt. Der Berliner sagt "Späti", "Spätkauf" oder "Spätverkauf" und bezieht sich damit auf die oftmals langen Öffnungszeiten. "Trinkhalle" oder, wie es in Hamburg heißt, "Kaffeeklappe", aber auch "Seltersbude" oder gar "Wasserhäuschen" zeigen an, was sich dort erwerben lässt. Dass hier allgemein mit Waren gehandelt wird, darauf deutet das in Österreich gebräuchliche Wort "Trafik" hin.

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